berliner szenen Kein Rückgrat

Bauarbeiten

Seit Monaten lag ein Rückgrat auf meinem Großstadtbalkon und gab mir Rätsel auf. Sauber abgenagt war es, schön gebogen mit einem spitzen Steiß. Für eine Ratte zu groß (wie, wenn nicht durch meine Wohnung, kommt das Viech in den dritten Stock?), für ein Grillhähnchen auch. Vielleicht hatten Stadttauben die Reste eines Karnickels auf den Balkon gelegt? Bekanntlich ist ihr Magen so mutiert, dass sie sich von solchen Dingen wie vergammeltem Fleisch und Erbrochenem ernähren.

Im Winter hatte ich den Balkon nur wegen der Warnung vor dem Jahrhundertsturm betreten, um das Bierflaschenmeer, das noch von der Einweihungsparty übrig war, ins Zimmer zu holen. Als ich den ersten Kasten hochhob, blieb ein beträchtlicher Teil jeder einzelnen Flasche am Boden kleben. Der Rest fiel klirrend durch den Kastenboden. Ich ließ alles draußen stehen.

Zurück zum Rückgrat. Seit einem knappen Jahr schon sind Handwerker und Bauarbeiter im Haus – für zweimonatige Arbeiten wie die Hausverwaltung die Mieter informiert hatte –, im Sommer hatten sie den Balkon als Aschenbecher benutzt. Nicht so schlimm, das tat ich auch. Vielleicht hatten sie sich in der Mittagspause Spanferkel auf dem Dach gegrillt. Von den vielen Kippen ist leider der Abfluss verstopft, sodass nicht nur das Rückgrat in einer großen Wasserlache schwamm und sich in seine einzelnen Knöchelchen auflöste (die auch den Abfluss verstopften). Der Teich auf meinem Balkon suppte durch den Boden und verursachte einen Wasserschaden in der Arztpraxis unter mir. Im Frühjahr kamen die Bauarbeiter und säuberten ohne Murren, aber mit der Fluppe im Mundwinkel meinen Balkon. Übrig blieben nur die Kippen.

SONJA VOGEL