Bionade trinken mit Meese

Das Forgotten Bar Project in Kreuzberg ist die schnellste Galerie der Stadt: Jeden Tag gibt es eine neue Ausstellung. Klingt nach Stress? Nein, für die beteiligten KünstlerInnen ist das sogar wie ein Urlaub vom Kunstbetrieb

Der Herr mit der Goldrandbrille und der dicken Kamera um den Hals ist irritiert. Seit zehn Minuten versucht der B.Z.-Fotograf „den Chef“ zu sprechen. Dumm nur, dass hier niemand mit dem Wort „Chef“ etwas anzufangen weiß. Die Leute, die draußen auf der Straße sitzen und Bier trinken, schicken ihn nach drinnen. Doch mit dem bärtigen Amerikaner hinter dem Tresen ist der Fotograf nicht zufrieden. Auch die Kuratorin, die für die Auswahl von fünf Gemälden in dem schlauchartigen Raum verantwortlich ist, will er nicht fotografieren. Schließlich stellt er sich mit einem Getränk auf den Gehsteig und wartet wie geheißen auf „The guy who sort of runs this place“, den Typen, der „irgendwie den Laden macht“.

Am Forgotten Bar Project in der Kreuzberger Schönleinstraße ist nicht nur die Organisationsstruktur uneindeutig. Wer vom Zickenplatz kommend die unscheinbare Straße hochläuft, sieht nur eine Menschentraube, die aus einem winzigen Ladeneingang quillt. Party? Ladeneröffnung? Vernissage? Was drinnen passiert, variiert je nach Öffnungstag. Und geöffnet hat das Forgotten Bar Project eigentlich immer. Sieben Tage die Woche, seit Anfang Juli.

An diesem warmen Augusttag werden von Frauen geschaffene Männer-Bilder gezeigt. Unter den kleinformatigen Gemälden und Fotos, die den Tresen säumen, ist ein Porträt der bekannten amerikanischen Malerin Elizabeth Peyton. Ganz unspektakulär hängt es über dem Kühlschrank, kein Schild, kein Katalog. Drum herum gruppieren sich auf knappem Raum Italienerinnen, Amerikaner, Paare, Familien und einzelne Biertrinker. Viele Gesichter meint man schon mal gesehen zu haben, in der Auguststraße oder bei der Biennale. Nur nicht hier, an der Grenze zu Neukölln.

„In Kreuzberg leben so viele Künstler von nationalem und internationalem Rang, dass man aus dem Vollen schöpfen kann“, sagt der Künstler Tjorg Douglas Beer, der zusammen mit John Kleckner, „Kunstwerke“-Sprecherin Maike Cruse und „Peres-Project“-Kuratorin Margherita Belaief unter dem Namen „Galerie im Regierungsviertel“ spontane Kunst-Happenings inszeniert. Für sechs Monate haben sie den kleinen Raum in der Schönleinstraße gemietet und zum „Forgotten Bar Project“ erklärt. Dort stellen Freunde aus und Menschen, die man von der documenta, der Freeze oder von anderswo im Kunstbetrieb kennt. Das Konzept ist turbo: Jeden Abend eine neue Ausstellung, zwischen Vernissage und Finissage liegen gerade mal vier Stunden.

„Das Forgotten Bar Project ist die größtmögliche Konzentration von Aufwand und Aufmerksamkeit“, sagt Beer, der den Sommer zwischen der Schönleinstraße und seiner Wohnung um die Ecke verbringt. „Für uns Künstler ist es ein Urlaub von der aufreibenden Professionalität unseres Alltags.“ Statt wochenlang Hängungen zu diskutieren und sich in Transport-, Versicherungs- und Vertragsfragen zu verlieren, wird hier einfach gemacht. Ein Tag, ein Raum, sonst nichts. Kein White Cube, keine Verkaufsgespräche, keine Sammler, nur Freunde und ein paar interessierte Nachbarn.

Das Forgotten Bar Project ist der Versuch, die Kunst, die zu einer Industrie geworden ist, zurück ins Leben zu holen. Natürlich gelingt das nur zum Teil. In die Schönleinstraße 28 pilgert die übliche „In-Crowd“ des Kunstbetriebs und das Feuilleton. Wenn Harun Farocki aktuelles Filmmaterial diskutiert oder an einem Abend John Bock, Jonathan Meese und Daniel Richter zusammen ausstellen, dann kommen alle, die sich sonst zwischen Brunnen- und Auguststraße tummeln, aber nur wenig Nachbarn.

Trotzdem hat es was, an einem lauen Sommerabend dort vorbeizuradeln, beispielsweise ein frühes Video der Multimedia-Performer Destroy all Monsters zu sehen, in dem rothaarige Nixen von Hummern angefallen werden und dann noch bei einem Getränk ein paar Franzosen oder Amerikaner kennenzulernen, Ausschau nach bekannten Gesichtern zu halten. Oder einfach wieder nach Hause zu radeln. Zwangloser und unprätentiöser geht es wirklich nicht.

NINA APIN

„Forgotten Bar Projekt“, Schönleinstr. 28, bis Ende August täglich 18–23 Uhr