piwik no script img

Medaillenregen in dicker Luft

Bei den Smogolympics in Peking wird es einige neue und interessante Sportarten geben

Die Chinesen wollen Gold in den Disziplinen Wetthusten, Luftanhalten und Weitspucken

Stabhochsprungtraining in Peking. Xien Wei Dong, der chinesische Meister, läuft an, schraubt sich an seinem Stab in luftige Höhen – und verschwindet in der vier Meter über dem Boden wabernden Smogschicht. Hinterher sagt der frustrierte Sportler: „Leider habe ich gerissen. Aber ich konnte dort oben die Hand nicht mehr vor Augen sehen.“ So wie Dong geht es vielen Sportlern. In der verschmutzten chinesischen Umwelt sind kaum mehr reguläre Trainingsbedingungen gewährleistet: Segler bleiben im dichten Algenteppich stecken, den finnischen Ruderern ätzt es in den von Chemieabfällen verseuchten Gewässern schon mal das Ruderblatt weg, zum Schießtraining brauchen die Olympioniken wegen der schlechten Sicht erst gar nicht anzutreten.

Es herrscht also dicke Luft im Reich der Mitte. Chinas Führung hat nun in vorolympischer Panik die Reißleine gezogen: In den vergangenen Wochen haben die Pekinger Funktionäre Hunderte Vorschriften für Verkehr, Transport und Umwelt verschärft. Manche Bestimmungen sind so streng, dass in vielen Branchen die Produktion gefährdet ist. Um die schlechte Luftqualität in der chinesischen Hauptstadt zu verbessern, mussten Tausende Fabriken im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern um Peking die Produktion schon Wochen vor den Olympischen Spielen einstellen. Doch die drakonischen Maßnahmen zeigen wenig Wirkung.

Im verzweifelten Bemühen, vor der Weltöffentlichkeit nicht das Gesicht zu verlieren, bringt die chinesische Regierung fast jeden Tag neue Vorschriften heraus. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Sichtweite in der Pekinger Innenstadt trotz der Fahrverbote auf wenige Meter gesunken ist. Die Olympischen Spiele in Peking drohen in einer undurchdringlichen Wolke aus Smog, Ruß und Beschwichtigungsphrasen der Pekinger Funktionäre unter- und als Smogolympics in die Geschichtsbücher einzugehen.

Verständlich, dass die skandalösen Verhältnisse nicht ans Licht kommen sollen. Aus Angst vor kritischer Berichterstattung hat das Pekinger Informationsministerium die Auflagen für Nachrichtenübermittlung deutlich verschärft. Die Regeln werden so strikt ausgelegt, dass selbst die Verbreitung von Hintergrundberichten, harmlosen Witzzeichnungen und schlechten Wetterprognosen nicht mehr möglich sei, klagen Branchen-Insider. Das Internet ist selbstverständlich zensiert. Gipfel der Schikane: Als zersetzend eingestufte Nachrichten müssen über die Häfen Qingdao und Schanghai als Gefahrgut verschifft werden. Dauer des Transports: zwei bis drei Wochen. Die Welt wird also erst mit mehrwöchiger Verspätung erfahren, bei welcher Höhe Xien Wei Dong im Pekinger Nebel die Latte gerissen hat.

Es droht also der Olympia-Suger-GAU. Einzig möglich scheint jetzt nur noch die Flucht, oder sollte man besser sagen – der große Sprung nach vorn: Mit einer radikalen Änderung des Wettkampfreglements und einer ganzen Reihe neuer, an die Umweltverhältnisse angepasster olympischer Disziplinen will die chinesische Führung in letzter Sekunde das Gelingen der Spiele sichern. Hier die Neuerungen im Überblick:

Die besonders gefährdeten Laufwettbewerbe sollen zum Schutz der Sportler jetzt in verändertem Wettkampfmodus durchgeführt werden: Um das nach Einschätzung der Chinesen unzumutbare Gedränge auf den Tartanbahnen zu mindern, dürfen Sportler, abhängig von ihrem Geburtsjahr, nur an geraden oder ungeraden Tagen laufen. Seit Montag bereiten sich die nationalen Sportverbände auf den olympischen Ausnahmezustand vor. Der deutsche Leichtathletik-Verband hat spezielle Notfall-Zentren außerhalb Pekings eingerichtet und zusätzliche Sportler mit geradem und ungeradem Geburtsjahrgang nachnominiert, um die wichtigsten Laufwettbewerbe mit mindestens einem deutschen Läufer bestücken zu können.

Atemschutzmasken sind dabei selbstverständlich Pflicht. Doch auch bei deren Beschaffung wirft der gelbe Mann der Völkergemeinschaft Knüppel zwischen die Beine: DB Schenker, offizieller Logistikpartner der Olympischen Spiele, will sich inzwischen lieber nicht mehr zu den Transportproblemen äußern. Kürzlich sollte Schenker für die Smogolympics nämlich Gasmasken nach Peking liefern. Doch die für die Mittel- und Langstreckenläufer unverzichtbaren Atemgeräte wurden vom Olympischen Vorbereitungskomitee als Gefahrengut eingestuft. Medaillen ade, kann man da nur noch sagen.

Völlig neu eingeführt wurde die sogenannte Lungenathletik. Wetthusten, Luftanhalten und Weitspucken heißen die neuen Disziplinen, in denen sich der chinesische Verband einen goldenen Medaillenregen verspricht. Ist es Zufall, dass hier Sportarten zu olympischen Ehren kommen, die im Rest der Welt kein Mensch kennt?

Auch in den neu geschaffenen Wettbewerben Wanderarbeiter-Marathon oder Synchron-Spielzeugzusammenbauen sind die Chinesen haushohe Favoriten. Eine endgültige Abkehr von der olympischen Idee bedeutet aber der Plan der kommunistischen Sportfunktionäre, das Gewichtheben in der Autofabrik „Roter Morgen“ austragen zu lassen. Statt Gewichten sollen die Athleten dort Getriebe und Motoren stemmen – am Fließband.

RÜDIGER KIND

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen