„Beteiligte ins Boot“

Der Verein StattReisen möchte Städte von ihrer unbekannten Seite zeigen. Thomas Gehrmann von der Bremer Dachorganisation „Forum Neue Städtetouren“ sagt, wie das geht

THOMAS GEHRMANN, 43, studierte Geografie. Er ist Geschäftsführer des Forums Neue Städtetouren e.V. und Leiter des Tourismusvereins StattReisen e.V. in Bremen.

INTERVIEW: KRISTIANA LUDWIG

taz: Herr Gehrmann, wie merken Sie, ob eine Stadtführung ankommt?

Thomas Gehrmann: Wenn Sie eine siebte oder achte Schulklasse haben, die nach eineinhalb Stunden sagt: „Och, schon vorbei“, dann wissen Sie, dass Sie Ihre Sache gut gemacht haben. Bei uns werden die Kinder nicht mit Zahlen gequält.

Was machen Sie anders?

Eine Stadtführung kann ein sinnliches Erlebnis sein, etwas Inszeniertes zum Beispiel. Wenn auf einmal ein Schauspieler kommt, während Sie eine ganz normale Stadtführung machen. Wo Sie gar nicht wissen: Gehört der jetzt dazu oder nicht? Was passiert hier eigentlich? Man hat unglaublich viele Möglichkeiten, mit diesem Element Stadtführung zu spielen.

Das ist eine gängige Methode?

Manche unserer Organisationen, wie in Bern zum Beispiel, arbeiten nur nach diesem System. Es gibt dann die Stadtführerin, also ganz klassisch. Und dann auch einen Schauspieler, der in unterschiedlichen Kostümen an jeder zweiten Station mit eingreift in das Geschehen. Dadurch werden historische Zusammenhänge ganz anders vermittelt und bleiben auch ganz anders haften. Das macht Spaß, das ist eine Art Infotainment.

Sie setzen also auf Action?

Wo man so was ganz anders sehen muss, das sind die Rundgänge wider das Vergessen, was den Nationalsozialismus angeht. Das ist dann wieder eine andere Art der Vermittlung. Da könnte man sich so was gar nicht erlauben, das ist klar. Die verschiedenen Organisationen haben da ein vielfältiges Spektrum.

Sie haben sehr unterschiedliche Schwerpunkte in Ihren Führungen.

Unser Themenfeld ist unglaublich weit gefächert. Das ist Historie, Politik, Wirtschaft, Verkehrswissenschaft. Eine Stadt ist interdisziplinär. Und dementsprechend versuchen wir Leute einzusetzen, die davon Ahnung haben. In der Regel sind das Freiberufler oder sie machen es nebenbei. Es ist keine Vollzeitbeschäftigung. Das wäre auch nicht in unserem Sinne. Wenn ich mir vorstelle, dass da Menschen viermal am Tag eine Führung machen, das ist ja grausam. Es ist nur ein Nebenjob. Abgesehen davon haben wir sehr viele hauptamtliche Stellen, wenn es um die Geschäftsstellen geht. So wie in meinem Fall.

Wie hat sich die Idee zu alternativen Städtetouren entwickelt?

StattReisen ist in Westberlin entstanden. Das hat natürlich auch den Hintergrund gehabt: Eben mal vor die Tore der Stadt einen Ausflug machen, war nicht drin. Da war umso mehr gefragt, die eigene Stadt mal aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Das Konzept schwappte dann ein bisschen nach Westdeutschland rüber, dann haben sich auch in anderen Städten aus Geschichtswerkstätten oder aus Stadtteilinitiativen solche Vereine entwickelt. Nach der Wiedervereinigung dann auch in Ostdeutschland.

Sie sprechen von sozialverträglichem Tourismus. Wie kann man dem voyeuristischen Aspekt einer Führung entgegenwirken?

Hier in Bremen machen wir viel zum Thema Armut in der Stadt. Da durch irgendwelche Viertel zu gehen und sich anzuschauen, wie die Leute da leben: Guck mal, das sind die! Das geht gar nicht.

Und wie machen Sie das dann?

Da ist es so, dass man mit den Leuten zusammen etwas macht. Das heißt, da ist man lange vorher schon im Viertel. Das ist dann meist mit einem ABM-Projekt verbunden. Man muss einfach in Kontakt mit den Leuten treten. Und auch die Leute, die mitlaufen, mit einbinden.

Werden die Kontakte vor so einer Führung geknüpft?

Um da jetzt noch einmal vorsichtig zu sein: Das ist nicht stellvertretend für das ganze Forum Neue Städtetouren. Das ist eine Sache, die wir in Bremen mal gemacht haben. Weil wir kamen gerade auf dieses Thema. Das ist ganz unterschiedlich. Vom Vorgehen entspricht das der StattReisen-Philosophie. Da holt man Beteiligte ins Boot.