die gelben seiten
: Die merkwürdige Stille vor der Feier des Jahrhunderts

Auf chinesischen Websites wird über vieles diskutiert – nur nicht über die Olympischen Spiele

Schon Stunden zuvor haben in China alle Medien das gefeiert, was laut offizieller Sprachregelung eine „Jahrhundertfeier“ werden sollte: wie monumental, unbeschreiblich schön, einmalig das „Vogelnest“ doch aussieht; wie viele Feuerwerkskörper zur Stunde x abgefeuert werden; wie gerührt „ausländische politische VIPs“ (waiguo zhengyao) von der neuen chinesischen Hauptstadt sind usw.

Man könnte zu Beginn der Spiele von Peking beinahe ein wenig Verständnis für die bombastische Mobilmachung der fröhlichen Gefühle aller Chinesen verspüren, wäre da nicht im sonst immer heftig brodelnden Cyberspace eine merkwürdige Stille einkehrt.

Dort nämlich diskutiert man hitzköpfig über alles: den Börsencrash, vereinsamte Schüler, geheuchelte Demokratie in Indien oder miefiges Gerede so mancher Gelehrten zum Thema Konfuzianismus, aber kategorisch nicht darüber, was alle Jubeljahre einmal (und im Falle Chinas zum ersten Mal) im eigenen Lande stattfinden darf. Zwar werden alle amtsmedial breitgetretenen Nonplusultras zitiert. Aber hinter jedem breitgetretenen Zitat, etwa „Es lebe der olympische Geist“ oder „China im kosmischen Glanz der Olympia“ (www.xinhua.org, www.cyol.net), stehen äußerst niedrige Anklickzahlen. Auch die Anzahl der Kommentare ist sehr gering, tendiert meist gegen null.

Und klickt man die Meinungsäußerungen doch einmal an, lesen sie sich in der Regel auch noch einsilbig: „Wow!“ steht da oder „Ding“ (Platziere dieses Posting ganz oben auf der Website) oder nur die Abkürzung „d“. Liegt die spartanische Prägnanz des seltenen Volksjubels im Internet darin begründet, dass alles Aussprechbare sonst ja amtsmedial bis zum Erbrechen schon gesagt, geschrieben, geschrien, gemurmelt, getanzt und zu rührseligen Melodien gesungen worden ist, und zwar seit einer Ewigkeit?

Selbst darüber diskutiert niemand – oder doch? Auf einer einzigen Seite, die zum Schutz vor der Zensurbehörde besser nicht genannt werden sollte, findet sich eine Spur Kritik – mutterseelenallein, aber kategorisch in hellblauen Lettern: „Diese Kommentierung wird von der Redaktion abgeschirmt.“ SHI MING

Shi Ming, 51, stammt aus Peking und lebt als Journalist in Köln