Melonenbrüste auslöffeln

Theorie und Rasierschaum schlagen große Blasen: Zehn Tage lang begibt sich das Festival „Femmes’R’Us“ im Radialsystem auf die Suche nach einem erneuerten Feminismus

Ist es richtig, vom Staat die Finanzierung feministischer Projekte zu fordern?

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Mit einem solchen Andrang hatten die Veranstalterinnen gar nicht gerechnet. In dem Raum, in dem das Eröffnungssymposium zum Zehn-Tage-Festival „Femmes’R’Us“ stattfand, stand zunächst noch die Hälfte der Stühle ganz bescheiden gestapelt in den Ecken. Schnell gab es allerdings am Freitagnachmittag keine Stapel mehr, Zuhörerinnen und Zuhörer drängten sich sogar im Stehen und auf dem Boden, um Antworten zu hören auf die titelgebende Dreifachfrage „Feminismus – Staatsaufgabe? Wirtschaftsfaktor? Revolte?“

Es sollte, glaubte man der Website des Queer-Instituts von Antke Engel, die das Panel organisiert hatte und auch moderierte, um Dinge gehen wie: Wer sind heute die Akteure feministischer Politik? Etwa nur noch Staatsinstitutionen, Unternehmen und Universitäten? Passen Feminismus und Revolte noch zusammen? Und vor allem: Kann in Zeiten, in denen fast jeder mal ein bisschen Gendertheorie konsumiert hat und fast niemand mehr von der simplen Zweigeschlechtlichkeit der Menschen ausgeht, die Queer Theory wichtig für eine Erneuerung des Feminismus werden?

Interessant hätte es also werden können. Zu einer dreieinhalbstündigen Geduldsprobe wurde es aber. Sehr viel setzten die sechs Theoretikerinnen und der eine Theorie-Performer auf dem Podium voraus, zu sehr schmeckte alles nach Inner Circle und fühlte sich dementsprechend exkludierend an, zu wichtig war „queer“ im Verhältnis zu „feministisch“.

Das verlangte von der Zuhörerin mit nur leichtem theoretischen Handgepäck: volle Konzentration auf die wenigen Punkte begreifbarer Substanz, viel Großzügigkeit gegenüber inflationären Begriffen wie „Heteronormativität“ und „multiple Handlungsmöglichkeiten“.

Tiina Rosenberg aus Stockholm stellte zwar spannende Fragen: Geht es dem Feminismus um Frauen oder um Gender? Wem gehört der Feminismus? Sie fand aber mit ihrer langen Liste schwedischer Queer-Performer nur eine unbefriedigende Antwort. Enttäuschend fiel auch Rosa Reitsamers Kurzvortrag „How to become a successful queer feminist DJ“ aus. Ihre zackige Empfehlung: subkulturelles Wissen sammeln, soziales Kapital anhäufen, Netzwerke bilden– und mit dieser Ausstattung ran an die Töpfe der Creative Industries bzw. des Staates!

Im Anschluss an diese Easygoing-Analyse stellte sich das Podium die Frage, ob das denn richtig sei, immer dem Staat die Finanzierung queerer/feministischer Projekte abzuverlangen. Tiina Rosenberg antwortete, diesmal mit sozialstaatlich-skandinavischer Striktheit: „The state has to pay – and then to shut up!“

Als Auflockerung trat Tim Stüttgen als kahle, aber wohlfeil geschminkte Timi Mei Monigatti auf und zerrte sich in einer Mini-Performance allerlei Gerät aus der Nylonstrumpfhose: viel Alu, eine Schachtel Salz, einen Dildo – „the mayor signifier“! – und eine Dose Rasierschaum. Für den Dildo bastelte Stüttgen einen schönen Alu-Halter, rezitierte dann unverständlichen Theoriekram, kreischte „Oh my god!“, beerdigte den Dildo unter Rasierschaumbergen, führte seinen Realschwanz vor und stopfte die Requisiten wieder in die Strumpfhose zurück – nur den Dildo nicht. Am Ende forderte er mantrahaft „visibility, not translatability“, Sichtbarkeit gern, direkte Übersetzbarkeit nein danke.

Antke Engel freute sich, weil Stüttgens Performance zeige, wie „ein körperlicher Ausdruck zum Eintritt in den Diskurs wird“. Daraufhin beklagte sich Chris Straayer aus New York über Alexis Arquette: Der ehemalige Gay-Porn-Star hat einen Film über seine psychotherapeutisch begleitete Umwandlung zur Frau drehen lassen, an dessen Ende er sich entgegen aller Zuschauererwartungen weigert, der Kamera seine neuen Geschlechtsteile vorzuführen. Straayer bedauerte diesen Einzug privatistischer Scham als eine Form der, natürlich, heteronormativen Zurichtung und wünschte sich Alexis als „unheilbare Exhibitionistin“ zurück. Dieses Statement bedurfte anscheinend keiner weiteren Diskussion.

In sympathischerem, aber verspultem Utopismus verhedderte sich dann noch Maria do Mar Castro Varela und wünschte sich „organische Queer-Intellektuelle, die sich „queere populäre Strategien“ ausdenken, die gleichzeitig antiimperialistisch, antikapitalistisch und so mainstreamig sind, dass sie es schaffen, den eigentlichen Mainstream umzuleiten. Ja, her damit, kann doch so schwer nicht sein!

Wo das Panel leider gleichzeitig Exklusivität wie Ungenauigkeit ausstrahlte, macht die „Femmes’R’Us“-Ausstellung, die noch bis zum 16. August im Radialsystem läuft, einiges an Zugänglichkeit und Treffsicherheit wett – und den Untertitel des Festivals, „Feminismus in Pop, Musik, Kunst und Film heute“, plausibler. Mit wenigen, aber sorgfältig ausgesuchten Arbeiten wendet sie sich auf leichtfüßige und spielerische Weise Themen zu, die mit Ungleichheit und Alltag, aber auch mit Kollektivierungs- und Selbstermächtigungsstrategien von Frauen zu tun haben.

So folgt Ina Wutke in ihrem Video „herspace“ gleich mehreren weiblichen Breakbeat-DJs, die strukturelle Probleme für Frauen in der Musikpopkultur gewitzt und kein bisschen larmoyant auf den Punkt bringen, während in Christine Langs Musikvideo „Quio: Rising Tide“ der Knarrengangstastecher-plus-Tussis-Clip aufs Schönste verdreht wird. Und während man in einer Audio-Collage der Elektronikerin Antye Greie die Schreie einer Frau in Presswehen hört, löffelt sich Patty Chang in ihrem Performance-Video die Melonen-Brüste aus und erzählt nebenher eine autobiografische Geschichte zum Thema „So nicht!“. So aber geht’s eben doch.

Das weitere Programm des Festivals findet sich unter www.femmes-breaks.com