KOMMENTAR DES TAGES
: Weltkrieg im Vogelnest

Wer sich dieser Tage ernsthaft über die Synchronizität von Krieg und Sport wundert, der müsste auch über die verblüffend symmetrischen Bewegungsabläufe zweier Synchronspringer betroffen den Kopf schütteln. Tatsächlich aber stehen die kriegerischen Auseinandersetzungen im Kaukasus und die sportlichen Wettkämpfe in Peking keineswegs im Widerspruch zueinander – sondern befördern sich gegenseitig. Krieg und Sport sind, im Kern ihres Wesens und entgegen der landläufigen Meinung, sogar Brüder. So offensichtlich ihre Verwandtschaft ist, so dringend muss immer wieder darauf hingewiesen werden.

Dabei ist es nicht einmal nötig, zur Untermauerung dieser These auf die Olympischen Spiele in Berlin 1936 oder das wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan vom Westen weitgehend boykottierte Spektakel in Moskau 1980 zu verweisen. Die beiden historischen Beispiele sind allzu eindeutig, ebenso wie es der Wehrsportgedanke bei der Neuerfindung von Olympia durch Pierre de Coubertin 1894 war, in einem noch immer von Preußen gekränkten Frankreich.

George Orwell, der übrigens auch am China unserer Tage seine helle Freude hätte, schrieb in seinem Essay über den „Sportsgeist“ von 1945: „Ernsthafter Sport hat nichts zu tun mit fairem Spiel. Er ist verbunden mit Hass, Eifersucht, Überheblichkeit, Missachtung aller Regeln und sadistischer Freude daran, Zeuge von Gewalt zu sein, in anderen Worten: Krieg abzüglich der Schießereien“.

Wie angestrengt die Verantwortlichen darum bemüht sind, den Sport als spielerische Überwindung – und eben nicht als archaischen Zwilling – des Krieges erscheinen zu lassen, geht unter anderem aus Artikel 13 der Olympischen Charta hervor: „Das Ziel der Olympischen Spiele ist es, den Sport überall in den Dienst einer harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, auch im Hinblick darauf die Bildung einer friedlichen Gesellschaft zu fördern, deren Anliegen es ist, die Menschenwürde zu schützen.“ Und erinnert solch weihevoller Unsinn nicht verdächtig an Beteuerungen russischer Politiker, ihr kleiner Kabinettkrieg im Kaukasus diene in erster Linie „dem Schutz unbeteiligter Zivilisten“?

Beide, der ganz reale Krieg wie auch sein ritualisierter Bruder, der Sport, kennen keinen Verständigungsfrieden, nur den Siegfrieden durch Niederringen des Gegners. Selten war diese fatale Symmetrie so augenfällig wie heute, da zwei Großmächte jeweils einen der beiden Wege beschreiten, um ihr Geschäft zu betreiben. ARNO FRANK