Sauber bleiben

Renitentes Schuhwerk

Straßenschuhe haben auf Sitz- und Liegemöbeln nun mal nichts zu suchen. Ich bin da wenig kompromissbereit, auch wenn ich dafür als spießig oder zwanghaft bezeichnet werde. Warum Schuhwerk nicht auf Stühle und Betten gehört? Weil gerade in Berlin die Wahrscheinlichkeit, in Hundekacke, Bierlachen, Ölpfützen oder Rotze zu treten, hoch ist, und weil ich mich nicht in die abgeriebenen Reste dieser Stoffe setzen will. Und weil ich das auch anderen nicht wünsche.

Leider halten sich immer weniger Berliner an diese Grundregel sozialen Miteinanders – deshalb habe ich in der S-Bahn den Kampf aufgenommen gegen die Sitzplatzbeschmutzer.

Es vergeht kaum eine Fahrt außerhalb des Berufsverkehrs, ohne dass dabei ein Fahrgast in meiner Nähe seine Schuhe auf den gegenüberliegenden Sitz legt oder, schlimmer noch, die Schuhsohlen an die Polsterkante drückt. Dann werfe ich einen vorwurfsvollen Blick hinüber, und meist nehmen die Füßehochleger ihre Knöchel wieder hinunter: wie etwa die junge Frau, die erst nicht verstehen konnte oder wollte, was ich forderte; oder der junge Mann, der die Hand zum Gruß hob und „alles klar“ murmelte.

Nach einem langem Arbeitstag und einem schweißtreibenden Fußballtraining die Füße bei der Heimfahrt hochzulegen, ist etwas Tolles. Auch ich gönne mir das. Dann breite ich eine ausgelesene Zeitung auf dem Sitz aus und platziere meine Füße darauf. „Junger Mann, nehmse mal Ihre Füße runter!“, rief mir neulich ein Wachschützer quer durch den Waggon zu. Noch bevor ich vor Scham in den Sitz versinken konnte, war er schon da. „Tschuldijung, det mit der Zeitung kann ja keener ahnen“, sagte er. Wir lächelten uns freundlich an.

RICHARD ROTHER