Im Reich der drei Streifen: Gold für Herzogenaurach

In China ist der Adidas-Konzern der erfolgreichste Sportartikelhersteller. Konzernchef Herbert Hainer betrachtet die Olympischen Spiele ganz unkritisch, deutsche Politiker fallen schon eher bei ihm in Ungnade

Li Ning heißt die größte Adidas-Konkurrenz in China. Die Firma trägt den Namen ihres Gründers, des dreimaligen Goldmedaillen-Gewinners im Turnen der Olympischen Spiele von 1984 in Los Angeles. In China liegt Li Ning hinter Adidas, Nike und Puma stehen an vierter Stelle unter den Sportartikelherstellern. Die Firma unterhält landesweit 5.000 Läden und ist der einzige chinesische Wettbewerber mit internationalen Ambitionen. Bei Olympia stattet die Firma sieben Mannschaften aus, darunter die spanische Basketballmannschaft. Umsatz 2007: 435 Millionen Euro. Anta, übersetzt „friedliches Kicken“, ist die Nummer zwei unter den chinesischen Sportartikelherstellern. Sie wird von ihrem 37-jährigen Gründer Ding Zhizhong geführt, der keinen Schulabschluss besitzt, sich als Ein-Mann-Unternehmer hocharbeitete. Heute hat er 4.700 Läden und erwirtschaftete 2007 einen Umsatz von 310 Millionen Euro. Xteb ist die Nummer drei, aber mit einem Umsatz von 150 Millionen Euro 2007 wesentlich kleiner. Chinesisch ausgesprochen bedeutet der Name „besonderer Schritt“ – ein Hinweis auf das Hauptprodukt Sportschuh. Der 38-jährige Ding Shuibo aus der Provinz Fujian baute die Firma als Billigkonkurrenz zu den bekannten Namen auf, er beliefert heute 4.000 Läden und zählt 5.800 Mitarbeiter. Zum Vergleich: Adidas zählt in China 1.300 feste Mitarbeiter, 5.000 Geschäfte und erwartet für 2010 einen Umsatz von 1 Milliarde Euro. GB

AUS PEKING GEORG BLUME

Im vierten Stock des Shangri-La-Luxushotels im Pekinger Kerry Center versucht Maurice Green gerade die Videoanlage aufzubauen. Er war einmal Goldmedaillen-Gewinner über hundert Meter für die USA. „Hallo. Wie geht’s?“, ruft Green. In Sichtweite sitzt Jennifer Stuczyuski unter einem Sonnenschirm auf der begrünten Dachterrasse des Hotels vor einer Fernsehkamera. Die Amerikanerin ist die derzeit zweitbeste Stabhochspringerin der Welt. Sie winkt kurz herüber. Green und Stuczyuski sind hier nicht die großen Nummern. Sie grüßen den eigentlichen Star: Herbert Hainer, Chef des zweitgrößten Sportartikelherstellers der Welt Adidas.

Hainer tritt nicht als Fremder in Peking auf. Adidas hat den Exklusivvertrag mit dem Pekinger Organisationskomitee der Spiele (BOCOG) erworben, liefert die Trainingsanzüge aller olympischen Sportler, stattet die hunderttausend freiwilligen Helfer der Spiele aus. Adidas ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres erstmals zur Nummer eins auf dem chinesischen Sportartikelmarkt aufgestiegen. Kein Wunder, dass Hainer sich in China zu Hause fühlt. Er hat eine ganze Etage des Hotels während der Olympischen Spiele für seinen Konzern anmieten lassen. Hier er ist er Gastgeber für die Adidas-Sportler aus aller Welt und empfängt rund um die Uhr chinesische Mitarbeiter. Er stellt sich vor eine Gruppe Adidas-Angestellter aus Shanghai, hält eine kurze Rede: „Ich habe immer an China, seine Stärke und seine Macht geglaubt. Jetzt müsst ihr uns helfen, die größte Sportartikelmarke der Welt zu werden“, sagt Hainer. Die dreißig chinesischen Mitarbeiter vor ihm sind jung, bunt gekleidet und lächeln ihren deutschen Chef höflich an. „Der ist ja viel jünger, als ich dachte“, schmeichelt ihm Wang Lan, Personalmanagerin bei Adidas in Shanghai.

In Wirklichkeit ist Hainer 54 Jahre. Er trägt Adidas-Jeans, Adidas-Polohemd und Adidas-Turnschuhe, Model Lang-Lang. „Die Unterhose ist nicht von Adidas“, sagt Hainer. Warum er keine Socken trage? „Weil ich das cool finde“, sagt Hainer. Er hat offenbar den Ehrgeiz, junger als 54 zu wirken. Inmitten all der internationalen Sportler und jungen chinesischen Mitarbeiter will er nicht wie der Herr Vorstandsvorsitzende aus Deutschland wirken. Überhaupt denkt er jetzt nicht gerne an Deutschland. „Ich spreche hier nicht als deutscher, sondern als internationaler Unternehmer“, sagt Hainer. Und doch kann er die vielen Diskussionen in der Heimat nicht vergessen.

Er kann es immer noch nicht begreifen, dass er Adidas zum wichtigsten Sportartikelausstatter der Spiele gemacht hat, dafür viele Male nach China reiste, mit dem chinesischen Sport- und dem chinesischen Kulturminister lange, am Ende erfolgreiche Verhandlungen führte, und dann am Ende doch kein deutscher Politiker ihn nach Peking begleitete. Kein Minister aus Berlin kam mit ihm zur olympischen Eröffnungsfeier. „Ich an Stelle der Bundeskanzlerin oder des Außenministers wäre hingegangen, weil ich fest überzeugt bin, dass man nur durch Reden weiterkommen kann“, sagt Hainer. Die Olympischen Spiele seien ein Ort der Volksverständigung. „Durch Abwesenheit oder Nicht-Erscheinen kann man hier nichts Positives beitragen“, sagt Hainer. Es klingt fast, als fühle er sich als Mitveranstalter der Spiele, als habe die deutsche Politik seine Einladung nach Peking ausgeschlagen. Doch Hainer begründet seinen Ärger. Wie kein anderer international bekannter Unternehmer macht er in diesen Tagen nicht nur Werbung für seine Firma und Olympia, sondern auch für den umstrittenen Austragungsort, für China. Dabei scheut er nicht die politische Debatte. Tibet ist für ihn ein Thema. „Ich sage nicht, dass richtig ist, was in Tibet passiert“, sagt Hainer. Doch der Tibet-Konflikt könne nicht in wenigen Monaten vor den Olympischen Spielen gelöst werden. Er bestehe schon mindestens 49 Jahre, seit der Flucht des Dalai Lama im Jahr 1959, sagt Hainer. Er fordert die Politiker in China und im Westen auf, die kulturellen und religiösen Differenzen in Tibet durch intensive Diplomatie nach und nach aufzulösen. Aber er lehnt einseitige Proteste im Westen ab. „Da hilft kein Boykott der Olympischen Spiele“, sagt Hainer.

Herbert Hainer: „Ich habe immer an China, seine Stärke und seine Macht geglaubt“

Das ist eine Position, wie sie in Deutschland auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vertritt. Warum aber wird sie nicht auch von anderen Unternehmern geteilt? „Ich habe in den letzten Tagen mit Managern von Volkswagen und Daimler gesprochen. Die sehen die Dinge ähnlich wie ich“, sagt Hainer. Doch hören tut man diese Dinge von ihnen nicht. Die Chefs der großen deutschen Unternehmen, die in China viel investiert und große Marktanteile erobert haben, die Winterkorns aus Wolfsburg und Löschers aus München, haben im großen Streit um Tibet und die Olympischen Spiele in Peking bislang beharrlich geschwiegen. Mal schien es so, als wollten sie sich nicht mit Bundeskanzlerin Merkel anlegen, deren Streit mit Peking um ihren Empfang des Dalai Lama in Berlin bis heute nicht überwunden ist. Mal konnte man glauben, sie wollten es nicht mit der in deutschen Medien vorherrschenden China-Kritik aufnehmen. Hainer, in Peking, fühlt sich ziemlich allein gelassen von den deutschen Kollegen. Eine Ausnahme macht er bei BASF-Chef Jürgen Hambrecht, dem Vorsitzenden des deutschen Asien-Pazifik-Ausschusses. Aber warum die anderen nichts sagen? „Das müssten Sie bitte dort erfragen“, sagt Hainer.

Er wird nicht müde, die altbekannten Argumente herunterzubeten: Deutschland sei nach wie vor die größte Exportnation, viele Exporte gingen nach China, China werde einer der größten Märkte in der Zukunft sein. Dahin würden wir unsere Waren verkaufen, hier würden wir natürlich auch produzieren, sagt Hainer. Sein jugendlicher Charme ist jetzt verflogen. Er spricht mit sehr deutschem Ernst: „Wir müssen auch die Chancen sehen, nicht immer nur die Gefahr, dass die Chinesen uns Arbeitsplätze wegnehmen. Wir müssen das Glas halb voll sehen, nicht halb leer“, sagt Hainer. Doch ob er glaubt, damit noch irgendjemand überzeugen zu können, wird nicht ganz klar. So sicher er seiner Überzeugung ist, spürt man sein Unwohlsein über die von ihm empfundene Außenseiterposition in der Debatte. Als Adidas-Chef ist er das nicht gewohnt. Gewöhnlich steht er für den Mainstream der Wirtschaft. Sein Vorteil ist der Sport. Er muss nicht graue Autofabriken in China rechtfertigen, sondern ein farbiges Sportfest, Olympia. Er muss nur von der Dachterrasse seines Hotels auf die Straße schauen, auf die viele Wagen mit den kleinen roten chinesischen Nationalfähnchen, die vorbeifahren. Schon hat er wieder ein neues Argument. „Und das wollen wir jetzt den Chinesen verwehren? Die sollen sich nicht ihr Fähnchen aufs Auto stecken dürfen?“, fragt Hainer.

Er erinnert an die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland vor zwei Jahren. Es wäre doch begeisternd gewesen, in Deutschland hätte ein regelrechter Umbruch, ein Befreiungsschlag stattgefunden. Etwas Ähnliches, suggeriert er, fände nun auch in China statt. Aber sind dies nicht Spiele unter einer Diktatur, die den Nationalismus von oben verordnet? Hainer bleibt beim Sport: „Was soll schlimm daran sein, dass Menschen stolz auf ihr Land, ihre Sportler und ihre Goldmedaillen sind?“, fragt er zurück. Seine Firma trägt einiges dazu bei, dass die Chinesen stolz sein dürfen. Im Fernsehen und auf großen Plakatwänden fährt Adidas derzeit eine große Werbekampagne in China, die chinesische Olympiasportler zeigt, die von einer chinesischen Menschenmenge getragen und bejubelt werden. „Das macht doch den Sport aus: dass die Menschen ihre Mannschaften anfeuern“, sagt Hainer. Ein bisschen nationalistisch aber wirkt die Kampagne doch. Vielleicht ist gerade das der Erfolg von Olympia: dass nicht mehr die KP, die Kommunistische Partei, sondern ein internationaler Konzern wie Adidas das Nationalgefühl der Chinesen pflegt.