klimacamp-tagebuch (ll): „Der Kapitalismus geht keine Wege, wir gehen Wege!“
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MARTINA HELMKE, 20, angehende Studentin der Ethnologie in Hamburg, berichtet bis Freitag für die taz von ihren Eindrücken als Teilnehmerin des Antira- und Klimacamps in Lurup.

Es ist Montagmittag und ich erreiche mit Sack und Pack das Campgelände. Beinahe wäre ich noch an dem kleinen Trampelpfad vorbeigelaufen, der unauffällig von der Hauptstraße in Richtung Campeingang führt. Das erste was ich zu sehen bekomme ist ein großes Plakat, dass deutlich mir die Absicht der Teilnehmer verkündet: Grenzen aufbrechen. Die Atmosphäre auf der Wiese ist eher ruhig, lediglich von der Vokü drängen ein paar Gesprächsfetzen an mein Ohr. Ansonsten nehme ich nur den Wind wahr, der um die Zeltdächer pfeift, das Bellen einiger Hunde, das Rumpeln irgendwelcher Motoren und den Geruch von feuchtem Gras. Ich suche mir einen Platz im Solid-Barrio, aus dessen rot beleuchteten Hauptzelt später am Abend sicher wieder Musik ertönen wird. Wobei ich bitte darauf achten möge, nicht die Abgrenzung zu den anliegenden Barrios zu überschreiten. Es habe da bereits Beschwerden gegeben...

Noch während ich mein Lager aufschlage bemerke ich neben mir auf einer leeren Wiese eine kleine Gruppe mit Megaphon, die sich wohl auf die Supermarkt-Aktion am Nachmittag vorbereitet. Einer der vier erklärt mir später, sie seien ein Bündnis mehrerer Gruppen aus dem umweltpolitischen sowie aus dem No Lager-Bereich. Sie bereiten ein kleines Theaterstück vor, mit dem sie das Preisdiktat der Supermärkte thematisieren wollen. Dieses führe zu einem massiven Lohndruck, der besonders die meist migrantischen Landarbeiter in Südspanien und anderswo treffe. Ob Aktionstheater eine gute Alternative zu den üblichen Protestformen sei, will ich von ihm wissen. „Es hat Vor- und Nachteile“, meint er. Zwar sorge ein buntes Theater für deutlich mehr Aufmerksamkeit, koste aber auch viel Vorbereitungszeit.

Später am Nachmittag treffe ich Alain von der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, dessen Mannschaft gestern das antirassistische Fußballspiel im Stadtpark gewann. Er kommt aus Kamerun und lebt bereits seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland. Die Erfahrungen, die er damals mit den deutschen Behörden machen musste, haben zu seinem heutigen Engagement geführt. Er ist froh, dass seine Gruppe sich heute ein wenig entspannen kann bevor es morgen nach Lübeck zur „Frontex-Schule“ geht, denn das ganze Thema mache ihn oft sehr wütend. „Die schlechte Seite an diesem Land“, sagt er. „ist, dass die Wahrheit über alles Schlimme was hier passiert, versteckt wird.“ So auch gestern wieder. Über das Klimacamp sei in den Nachrichten berichtet worden, über die Aktivitäten der Antiras kaum. Deswegen ist er hier, sagt Alain. Und er hat eine Vision: „Wenn alle 500 Teilnehmer einen Freund mobilisieren, dann sind wir schon 1000.“ Und wenn die das genauso machen, dann seien wir schon bald viel mehr.

Um vier Uhr brechen viele auf um gegen die Auswirkungen industrieller Landwirtschaft, gegen „Ausbeutung, Verdrängung und ökologische Zerstörung“ zu protestieren. In großer Gruppe beginnen wir unsere Fahrt ins Unbekannte, da kaum einer weiß welchen Supermarkt wir belagern werden. Am Ende trifft es einen Aldi in Altona, der jedoch gut beschützt wird vom „unangenehmen Gemüse“, wie einer der Demonstranten bemerkt, der mit buntem Hut auf das Dach geklettert ist. Besonders beeindruckt mich eine bekennende Hartz-IV-Empfängerin, die das „öffentliche Hearing“ nutzt um sich zu beschweren: „Ich bin gezwungen hier einzukaufen. Als Vegetarierin möchte ich doch auch mal Tofu essen!“