Im Alltagsdschungel

Das ästhetische Vergnügen einer durch und durch ironischen Haltung: Adam Soboczynskis Buch „Die schonende Abwehr verliebter Frauen“

VON DIRK KNIPPHALS

Dieses Buch stellt einen vor interessante Einordnungsprobleme. Von seiner Anlage her wirkt es zunächst wie ein etwas altkluger Lebensratgeber. Als solches, stellt man dann beim Lesen fest, ist Adam Soboczynskis Buch „Die schonende Abwehr verliebter Frauen“ aber ziemlich lustig und hübsch ironisch, mit einer Tendenz zum Putzigen.

Kernaussage: Da man sowieso nicht authentisch sein kann, zeugt es von Lebensklugheit, sich wenigstens gewinnbringend zu verstellen. Dazu sei es notwendig, seine Affekte im Griff zu haben und stets taktisch zu agieren – zumal in Zeiten einer vermehrten Konkurrenz um gut bezahlte Arbeitsplätze. Die Schwächen der anderen erkennen und ausnützen, die eigenen Schwächen nicht zur Geltung kommen lassen, flexibel sein und nicht auf Prinzipien herumreiten, auf den passenden Moment warten – Ratschläge für ein geschicktes Durchlavieren im Menschendschungel, den man Gesellschaft nennt. Das alles verpackt Soboczynski in eine höflich wie zum Tanzkurs auftretende Sprache und in nette Klassikerzitate. Wann hatte man zuletzt etwa etwas von Baltasar Gracián gehört?

Das aus der Mode gekommene Wort Traktat fällt einem ein, und zwar überraschenderweise keineswegs negativ. „Was ist das Leben? Es ist ein Minenfeld. Was die Verstellung? Bedingung unseres Aufstiegs. Was ist die Liebe? Die schönste aller Täuschungen.“ Wenn ein Buch, das solche Seufzersätze enthält, den Leser gut unterhalten kann, hat der Autor gute Arbeit geleistet. Diesem Buch gelingt das sogar noch auf spielerische Art. Und selbstverständlich geht es darum, dem Leser den Spiegel vorzuhalten. Im Kern enthält das alles ein Antidepressionsprogramm. Statt Verzweiflung an der Schlechtigkeit der Welt empfiehlt dies Buch die Erkundung und Kultivierung der eigenen Möglichkeit, in ihr dennoch etwas aus sich zu machen. Und da das Ganze im betont lockeren Plauderton abgefasst ist, empfiehlt es noch etwas viel Klügeres: über die eigenen kleinen Abgründe zu lächeln lernen nämlich. Freilich muss man dann auch seinen Mitmenschen solche Defizite zugestehen.

Die Einordnungsprobleme entstehen dann aber dadurch, dass man als Leser allmählich realisiert, was für treffende Geschichten aus dem heutigen postmodern-hedonistischen Großstädteralltag Soboczynski dabei zunächst wie nebenbei erzählt. Seine Ratschläge und Maximen – mit Tipps wie „Hin und wieder verletzt wirken“, „Witz zeigen“ und „Liebevoll blicken“ sind die Kapitel überschrieben – illustriert Soboczynski mit Beispielen, auf die er immer wieder zurückkommt, bis man die einzelnen Episoden aus den Perspektiven aller beteiligten Personen gesehen hat.

So schildert er einen kleinen Skandal auf einer Party. Eine angetrunkene Frau sieht ihren Freund im angeregten Gespräch mit einer anderen und ohrfeigt ihn (Tipp: „Zum rechten Zeitpunkt das Fest verlassen“). Im Verlauf des Buches lernt man diese Episode aus der Sicht der Ohrfeigenden, ihres Freundes und der anderen Frau kennen. In anderen Kapiteln werden misslingende Flirts mal aus der einen, mal aus der anderen Perspektive beschrieben. Tragikomisch schildert der allwissende Erzähler dann seine Bestürzung darüber, dass nichts im Leben dieser Angelikas, Svens, Kais, Stephans, Sebastians, Annettes und Anjas so perfekt läuft, wie es laufen könnte.

Irgendwann fragt man sich als Leser, ob dies Buch nicht die eigene Maxime der Verstellung auf sich selbst anwendet. Die fröhliche Oberfläche eines gelehrten Ratgebers erscheint dann wie eine geschickte Maske, mit der es dem Autor gelingt, untragisch Szenen aus der heutigen Lebenswelt zu erzählen. Im Grunde ist das ja eine Judith-Hermann-Welt, die hier vor einem aufgeblättert wird. Aus kleinen Verfehlungen ergibt sich, dass nie die passenden Menschen zueinander finden, dass man oft allein im Café sitzt und irgendwie die anderen Menschen nie genau das verstehen, was man eigentlich meinte. Man ist gewohnt, von solchen Dingen in literarischen Mustern erzählt zu bekommen, die auf der Oberfläche lakonisch und drunter nah am Pathos gebaut sind. Adam Soboczynski macht das anders. Lockerer, gewitzter. Aber deshalb nicht von vornherein unliterarischer.

Das Schönste an dem Buch aber: Letztlich ist es ziemlich egal, ob man es unter verflixt lustiger Ratgeber oder unter einem spielerischen Literaturansatz einordnet. Vor allem bietet es das ästhetische Vergnügen einer durch und durch ironischen Haltung. Nichts ist vor dem Witz dieses Erzählers sicher. Nicht einmal die eigene Erzählerposition.

Adam Soboczynski: „Die schonende Abwehr verliebter Frauen“. Kiepenheuer, Berlin 2008, 204 Seiten, 18,95 Euro