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Ich war noch niemals in New York …

… weil ich in der Stadt keinen Orientierungspunkt finden würde. Straßen wie Schneisen durch verglaste Hochhäuser, die Bürgersteige voll hektischer Massen, im Dauertakt blinkende Leuchtreklamen und dazu das Gefühl von Einsamkeit – so stelle ich mir New York vor. Mit anderen Städten verbinde ich eher den Hauch von Orient, ausgetretene Lehmpfade vor Wellblechhütten und blühende Orangenbäume: Istanbul, Rio de Janeiro, Sevilla. New York aber ist in meinen Gedanken nur großstädtisch und laut. Früher das Tor zur Welt für alle, die dem American Dream entgegenreisten. Heute der Inbegriff der Starbucks Coffee trinkenden Boheme. Ein bisschen oberflächlich halt.

Natürlich, wie immer verkennen solch schamlose Vorurteile die Wirklichkeit. Zweifellos ist New York viel mehr als Coffee to go und die Freiheitsstatue. Doch woran kann ich mich halten als jemand, der noch nie in dieser sogenannten weltmännischen Stadt war?

Ich könnte zum Beispiel an der New York University studieren und hätte damit einen Orientierungspunkt. Die NYU soll ein großartiges Philosophie-Department haben: das beste der englischsprachigen Welt, so habe ich gehört. Ja, man könnte so einiges …

Aber in welcher Stimmung müsste ich eigentlich sein, um eine Reise nach New York anzutreten? Ich glaube, ich müsste Sehnsucht nach vielen Menschen haben – und trotzdem Lust aufs Alleinsein und auf Anonymität. Einfach auf den Straßen mitschwimmen, Massen, die mich leiten, mich in eine Richtung drängen lassen und irgendwann, irgendwo in einem Pub landen. Dort mit ein paar einsamen Seelen Melancholie in Bier ertränken und beim Vor-die-Tür-Treten mich klein fühlen vor den vielen Hochhäusern und übergroßen Leuchtreklamen. Danach tanzen gehen und schließlich im Morgengrauen in ein Ministudentenzimmer zurückkehren, das 1.400 Euro im Monat kostet und mit einem American room mate geteilt werden muss. Vielleicht verspüre ich irgendwann einmal Lust danach. Dann buche ich einen Flug – versprochen.

ANJA HÜBNER, auch Jahrgang 1984

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