„Alle Schulen sollen attraktiv werden“

Prozessniederlagen haben Folgen: Die Bildungssenatorin will Aufnahme für weiterführende Schulen neu gestalten

RENATE JÜRGENS-PIEPER, 57, ist seit 2007 Bremer Bildungssenatorin. Bis 2003 war die Sozialdemokratin für die niedersächsischen Schulen zuständig.

taz: Frau Jürgens-Pieper, 51 Schüler bzw. deren Eltern von 5-Klässlern haben den Rechtsweg beschritten, weil sie in der Schule, in die sie gehen wollten, nicht angenommen wurden. Sie finden das ärgerlich?

Renate Jürgens-Pieper, Bildungssenatorin: Ich kann verstehen, dass Eltern enttäuscht sind, wenn ihr Erstwunsch nicht erfüllt wurde. Für mich bedeutet das auch, dass wir die Schulen so attraktiv machen müssen, dass sich das Interesse auf alle Schulen gut verteilt und Eltern so auch ihren Erstwunsch oder zumindest ihren Zweitwunsch erfüllt bekommen. Mit 87,5 Prozent Erfüllung des Erstwunsches stehen wir gut da.

Offenbar sind aber auch formale Fehler vorgekommen. Wir werden das genau auswerten, um das Auswahlverfahren zu erneuern. Wir haben allerdings gesagt: Wir gehen den Rechtsweg mit.

Das bedeutet: Sie akzeptieren die Eil-Urteile des Verwaltungsgerichtes nicht?

Nicht in allen Fällen, weil wir meinen, dass es nicht geht, dass die Klassen übervoll werden. Es gibt da eine Grenze dessen, was pädagogisch vertretbar ist. Deswegen müssen wir das durchfechten.

Werden Sie bis zum Hauptsacheverfahren vor dem OVG gehen, wenn die Bildungsbehörde im Eilverfahren verliert? Droht den Kindern, dass sie nach Monaten ggf. die Schule verlassen müssen?

Nein. Am Alten Gymnasium werden die Schüler bleiben. Im Falle des Aufnahmeverfahrens Kippenberg-Gymnasium sind die Schüler seit Schuljahresbeginn an den zugewiesenen Schulen. In der Mehrzahl der Fälle, die das Kippenberg-Gymnasium betreffen, hat das OVG die Vollziehung der Beschlüsse des VG ausgesetzt. Da entscheiden die Eltern über die Fortführung des Hauptsacheverfahrens für die Aufnahme, nicht die Behörde. Im Fall der übrigen vom OVG positiv beschiedenen Eilanträge wartet die Behörde die genaue Urteilsbegründung des Gerichtes ab. Dies werden wir dann sorgfältig analysieren. Erst dann können wir entscheiden, ob wir die Verfahren in der Hauptsache fortsetzen oder die Kläger klaglos stellen.

Im Falle des Alten Gymnasiums hat das Gericht gesagt, die Schule hat die großen Klassenräume den sechsten Klassen zugewiesen, die fünften Klassen in die kleinen Räume gesteckt und gesagt: Wir haben keinen Platz. Ein Trick?

Das finde ich nicht. Es geht nicht nur um die Raumgröße, sondern auch um den pädagogischen Aspekt. Die Schulleiterin hat doch recht, wenn sie die Klassen in den Räumen lässt, die die Schüler mit Mühe selbst gestaltet haben und in denen sie ihre Heimat gefunden haben. Wir werden im kommenden Jahr die Hinweise, die wir jetzt vom Gericht bekommen haben, genau bedenken und unsere Richtlinien ändern müssen.

Im Falle des Kippenberg sind Geschwisterkinder als „Härtefälle“ anerkannt worden, obwohl das längst gerichtlich untersagt ist.

Die Geschwisterkindregelung ist rechtlich angeblich nicht zulässig. Ich möchte aber eine rechtsfeste Geschwisterkindregelung haben. Wenn Eltern mehrere Kinder in Schulen haben, darf man sie nicht zwingen, durch die ganze Stadt zu fahren.

Von den Anwälten der Eltern wird kritisiert, dass das Aufnahmeverfahren von der Behörde sehr formal geregelt ist, bis hin zu den Zentimetern des Schulweges auf dem Stadtplan, und inhaltliche Fragen keine Rolle spielen dürfen. Wenn Eltern für ihr Kind eine Schule mit naturwissenschaftlichem Profil wählen oder ein musisches Profil, weil das Kind schon jahrelang Geige spielt, darf das nach den bisherigen Richtlinien kein Argument bei der Aufnahme sein.

Auch das möchte ich in der Richtlinie überarbeitet wissen. Wir brauchen die Profilbildung der Schulen, und es muss Wege für Eltern geben, die ein bestimmtes Profil für ihr Kind wünschen, das auch zu bekommen. Das muss in den Kriterienkatalog für die Aufnahme aufgenommen werden.

Seit Jahren ist deutlich, dass mehr Gesamtschulen und Gymnasien angewählt werden, als Plätze vorhanden sind. Reagiert die Schulpolitik darauf?

Das werden wir in der Schulentwicklungsplanung zu entscheiden haben. Wir werden das Elternwahlverhalten bewerten müssen. Ich denke, wir müssen Schulen so attraktiv machen, dass wir die Zahl von Klageverfahren minimieren.

Interview: kawe