„Das Problem liegt in Somalia“

Reeder Holger Lehmann bangte den Sommer über um sein Frachtschiff „Lehmann Timber“, das Piraten vor der somalischen Küste in ihre Gewalt brachten. Ein Gespräch über den Hergang, die deutsche Marine und Somalia

Das Ende Mai vor Somalia entführte Frachtschiff „Lehmann Timber“ der Lübecker Reederei Karl Lehmann ist nach 41 Tagen wieder frei. Nach Informationen aus Schifffahrtskreisen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi wurde ein Lösegeld in Höhe von 750.000 US-Dollar – das entspricht etwa 478.000 Euro – gezahlt. Die 15 Besatzungsmitglieder „Lehmann Timber“ seien wohlauf, teilte ein Vertreter der Reederei mit. Die „Lehmann Timber“ und ihre Besatzung wurden nach Angaben einer Betreuungsorganisation für Seeleute in Nairobi bereits am Dienstag (Ortszeit) freigelassen. Ursprünglich hätten die Piraten ein Lösegeld von mehr als einer Million Dollar verlangt. Immer noch in Gewalt von Piraten ist die „BBC Trinidad“ der Bremer Reederei Beluga. Sie war in der vergangenen Woche auf dem Weg von Houston (Texas) nach Muskat (Oman) ebenfalls vor der Küste Somalias gekapert worden. Die Ladung besteht aus Röhren für die Ölindustrie. Offenbar benutzten die Piraten Schnellboote und ein „Mutterschiff“, um Kontrolle über die „BBC Trinidad“ zu bekommen.  TAZ

taz: Herr Lehman, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie Ende Mai von dem Überfall erfuhren? Holger Lehmann: Hoffentlich ist das nicht wahr. Das habe ich gedacht. Da steht ja das Leben der gesamten Besatzung auf dem Spiel.

Wie konnten die Täter überhaupt an Bord gelangen?

Die haben sich mit kleinen Motorbooten und schwer bewaffnet an das Schiff herangemacht.

Was konnten Sie tun?

Fast nichts. Wir konnten zwar mittels Funkverbindung Kontakt zur Bordbesatzung herstellen und waren über den aktuellen Aufenthaltsort unseres Frachters informiert, trotzdem waren uns die Hände gebunden. Das war ja der Wahnsinn daran, zu wissen, wo sich das entführte Schiff befindet und nichts unternehmen zu können.

Zum Zeitpunkt der Entführung befand sich die Bundeswehr-Fregatte „Emden“ im Anti-Terror-Einsatz im selben Seeraum. Konnte die Marine nicht helfen?

Leider nicht, sie war zu weit weg. Aber es ist natürlich enttäuschend, dass die Fregatte nicht einmal versucht hat, weiter in Schiffsnähe zu kommen. Das hängt damit zusammen, dass die Marine einen klaren Auftrag hat, und der lautet nun mal Terroristen zu bekämpfen und keine Piraten. Das wäre dann Polizeisache. Auch das Grundgesetz steht einem Eingriff der Militärs im Wege. Obwohl es auch wieder Schifffahrts-Experten gibt, die sagen, man müsse das Grundgesetz für einen Einsatz gar nicht ändern. Man müsste nur einen klaren Auftrag erteilen.

Sollte die Marine forscher gegen Piraten vorgehen?

Natürlich. Wobei es zu spät ist, wenn die Piraten an Bord sind. Dann kann die Marine nur noch deeskalieren und versuchen, die Leute heil von Bord zu bekommen. Das Problem liegt in Somalia selbst. Die dortigen Verhältnisse sind katastrophal, eine Regierung gibt es im Grunde nicht, genauso wenig eine funktionierende Exekutive, die Polizei. Die Piraten können also tun und lassen, was sie wollen.

An wen würden Sie Ihre Forderung nach Hilfe richten?

Die Piraterie ist ein internationales Problem. Eigentlich muss die UNO dagegen etwas machen. Die war ja auch vor ein paar Jahren bereits da, hat dann aber nach einigen barbarischen Vorfällen wieder einen Rückzieher gemacht. Das ist eine total schwierige Situation.

Was hat sich nach dem Überfall auf die „Lehmann Timber“ verändert?

Es wird noch besser Ausguck gehalten an Bord und wir werden noch weiter auf der Jemen-Seite fahren, aber mehr kann man da nicht machen. Wir vermeiden natürlich jetzt, überhaupt diesen Weg zu fahren, solange es nicht unbedingt notwenig ist. Zurzeit würden wir wahrscheinlich eine Reise über diese Route ablehnen, denn wir sind natürlich noch geschockt. Jennifer Nausch

HOLGER LEHMANN, 50, ist Geschäftsführer des Lübecker Familienunternehmens Hans Lehmann KG. Vergangenen Mai wurde das Schiff Lehmann Timber der Reederei vor der Somalischen Küste gekapert.