Konkurrenz für den Osten

Der ostdeutsche Wirtschaftsforscher Ulrich Blum erklärt, warum er statt des gesamten Ostens lieber Bremerhaven fördern würde – und wofür man die Subventionen an der Weser ausgeben sollte

Der Wirtschaftsaufschwung in Westdeutschland wäre viel früher an Grenzen gestoßen, wenn es nicht die DDR-Zuwanderung gegeben hätte. Die DDR den Süden demografisch saniert. Er ist ein ganz großer Gewinner der deutschen Einheit.

Interview: Christian Jakob

taz: Herr Blum, sie sind einer der führenden Ökonomen in Ostdeutschland. Kürzlich haben Sie sich gegen einen Solidarpakt III ab 2019 und stattdessen für eine Förderung von Bremerhaven ausgesprochen. Gab es Ärger?

Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle: Nein, es gab da auch in Ostdeutschland wenig Widerspruch. Man weiß um diese Probleme!

Erstaunlich.

Keineswegs. Wenn Sie nicht die Hoffnung haben, dass der Solidarpakt bis dahin nicht mehr gebraucht wird – welche Hoffnung hat man dann? Den Pakt immer weiter zu verlängern wäre das Eingeständnis einer gescheiterten Wirtschaftspolitik – das räumt niemand gerne ein. Und es entspricht auch nicht den zu beobachtenden Entwicklungen.

Viele Regionen sind dennoch noch immer sehr rückständig – und pochen insofern zu Recht auf besondere Förderung.

Nach Auslaufen des Pakts muss der horizontale Länderfinanzausgleich die verbleibenden Probleme – vor allem bei den öffentlichen Haushalten – abfedern. Er kommt dann den schwächeren ostdeutschen – und übrigens auch westdeutschen – Ländern zugute. Zudem ist die Perspektive, dass der Pakt mittelfristig ausläuft, auch ein Anreiz um Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass man ohne ihn zurecht kommt.

Welche Maßnahmen könnten das sein?

Zunächst eine intelligente Wirtschaftsförderung – das gilt übrigens für Ost und West. Es gibt aber ganz spezifische ostdeutsche Anpassungsprobleme, wie etwa die völlig überdimensionierte öffentliche Verwaltung, eine DDR-Altlast aus der Zentralverwaltungswirtschaft. Dieses Problem wurde durch den massiven Einwohnerverlust von rund 1,5 Millionen Menschen potenziert. Dieses Abschmelzen von Personal kostet Zeit und Geld. Das Ziel wird wohl erst zwanzig Jahre nach der Einheit erreicht sein.

Was aber bei einem solchen Exodus noch das geringste Problem sein dürfte.

Ja, so viel Abwanderung heißt natürlich auch enorme Verluste bei der Wirtschaftsleistung. Über 1,5 Millionen Menschen sind netto von Ost noch West gezogen – das bedeutet für den Westen einen Wertschöpfungsgewinn von über 50 Milliarden Euro. Dieser massive Humankapitaltransfer leistet im Westen also einen Beitrag, der weit über den Transfers, die in den Osten fließen, liegt. Deshalb tat der Pakt der „alten“ BRD auch gar nicht so weh – und hat dabei die Polarisierung verschärft.

Inwiefern?

Viele der Ost-Auswanderer sind nach Süddeutschland gezogen. Und so konnte man dort ein boomendes Industriepotential mit jungen Abgewanderten aus der DDR besetzen. Der Wirtschaftsaufschwung in Westdeutschland wäre viel früher an Grenzen gestoßen, wenn es nicht die DDR-Zuwanderung gegeben hätte. Zudem hat die DDR den Süden demografisch saniert. Er ist ein ganz großer Gewinner der deutschen Einheit.

Und der Norden hat in die Röhre geguckt?

Ja. Hessen, Bayern oder Baden-Württemberg konnten mit hochmodernen Industriestrukturen Arbeitskräfte anlocken. Bremerhaven etwa konnte das sicherlich nicht.

Seit den 1990er Jahren sind 9 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen hierher geflossen – und die Indikatoren sind noch immer im Keller. Trotzdem wollen Sie nun, das Bremerhaven stärker gefördert wird.

Ja, aber bitte nicht im Sinne der klassischen Subventionitis! Zunächst müssen Sie berücksichtigen, dass Stadtstaaten im Gegensatz zu Flächenländern besondere Probleme haben. Sie haben die teure Aufgabe, Umland infrastrukturell zu alimentieren, ohne dabei auf ihre Kosten zu kommen. Und mit Infrastruktur meine ich im modernen Sinne vor allem alles, was mit Bildung, Kreativität und Innovation verknüpft ist. Ihre Kunsthalle liegt nicht in Delmenhorst. Und auch viele moderne Industrien sitzen nicht mehr in der Kernstadt, erlauben es also nicht, diese Infrastruktur zu finanzieren. Einfach gesagt: Städte unterstützen wirtschaftliche Entwicklungen, von denen sie nachher oft nicht profitieren – und durch die deutsche Steuerverteilung wird dies nur teilweise korrigiert.

Sie sprechen davon, dass der Staat Rahmenbedingungen setzen solle, damit Wirtschaftsräume rechtzeitig “umschalten“ können. Auf was soll Bremen umschalten?

Regionen müssen sich auf ihre prägenden Standortvorteile besinnen. Im Falle vom Bremen ist die maritime Lage sicher ein solcher Faktor. In der Vergangenheit hat man deshalb nicht von ungefähr auf auf den Schiffbau und die Logistik gesetzt.

Die Vulkan-Werft ist schon lange pleite.

Ja, und dass hat sicher etwas mit der Innovationspolitik zu tun.

Inwiefern?

Die großen technischen Hochschulen hören auf der Linie Aachen-Braunschweig auf...

Tun sie doch gar nicht. Bremen hat auch eine technische Hochschule.

Die ist noch sehr jung, ihre Standortprägung liegt in der Zukunft. Vermutlich hatte man im Norden nicht rechtzeitig ein Bewusstsein dafür, dass man für eine moderne Industrie in Norddeutschland auch Technische Hochschulen braucht. Als ich in den 1970er Jahren in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert habe, haben dort viele Maschinenbauer über Spezialschiffbau nachgedacht, etwa Kläranlagen auf Schiffen, solche Dinge. Schon damals war klar: Das klassische Containerschiff würde künftig in Korea gebaut. Die Konkurrenzintensität kann sich bei solchen Gütern wesentlich schneller ändern als bei den lokalen Gütern. Bremens Kernkompetenzen lagen in solchen wettbewerbssensiblen Bereichen. Davor hätte nur eine spezifisch ausgerichtete Förderung von Innovationen im Hochtechnologiebereich schützen können – und die hatte Bremen damals nicht.

Das soll das Land nun also nachholen – und dafür Subventionen erhalten?

Wirtschaftsförderung sollte in der Tat nur solche Investitionen bezuschussen, die innovativ sind. Alles andere bleibt wirkungslos. Es gibt Regionen im Osten, die nicht restrukturiert werden können, weil sie nicht innovativ sind. Ihnen ging es immer „schlecht“, weil sie beispielsweise agrarisch geprägt waren, sie wurden nur durch das DDR Regime hochgerüstet, zum Beispiel im Möbelbau. Heute sind sie nicht mehr wettbewerbsfähig. Das heißt aber nicht, dass sie nicht erfolgreich im Tourismus sein können. Letztlich gibt es keine schlechten Standorte, sondern nur unangepasste Industrien.

Diese Erfahrung mussten auch große Teile des Schiffbaus hierzulande machen. Was bleibt also noch vom „maritimen Faktor“?

Bremen positioniert sich als Logistikstandort, was durchaus zukunftsträchtig sein kann, vorausgesetzt, man bleibt Innovationsführer. Hafendienstleistungen haben da enorme Potentiale.

Jenseits des bloßen Wachstums der Umschlagsvolumina?

Absolut. Ein großer Teil der Einsparungen, die Unternehmen in den letzten Jahren realisieren konnten, waren Verbesserungen beim Supply Chain Management, also der Logistik. Wenn nun die Energiekosten steigen, werden die Logistikkosten nicht mehr so ohne weiteres sinken. Hier werden also neue, intelligente logistische Konzepte stark gefragt sein. Was aber viel wichtiger ist: Die Häfen müssen die Augen und die Sinne offen haben, für neue Dienstleistungen.

Zum Beispiel?

In Rotterdam etwa macht das Verladegeschäft nur 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung aus. Der Rest sind nicht-originäre Angebote wie Importzertifizierung oder Qualitätsmanagement, beispielsweise aus Haftungsgründen zwingend. Es bietet sich einfach an, so was gleich im Hafen zu machen. Diese hochwertigen Dienste werden in Zukunft immer wichtiger. Rotterdam ist da sehr weit entwickelt. Dadurch wird man unverzichtbar. Die Vorstellung eines Hafens ist oft die von Schiffen und Kränen. Das stimmt aber nicht. Der Hafen ist eine Drehscheibe für viel mehr.

Norddeutschland sollte sich also an Rotterdam ein Beispiel nehmen?

Die Vorteile zumindest liegen auf der Hand. Die Logistik, die kann jeder machen, aber die Intelligenz, etwa beim Prüfen von Normeinhaltungen, die bringt den Reichtum in die Regionen – und die nicht-prekären Arbeitsplätze. Ich habe deshalb auch immer wieder gefordert, im Großraum Leipzig wegen der DHL-Ansiedlung diesen Bereich durch Gründung einer Forschungseinrichtung zu entwickeln. Aber so etwas kann man auch in Bremen machen. Das ist Standortwettbewerb.

Glauben Sie, dass die Logistik allein den Standort sanieren wird?

Nein. Aber sie ist wichtig! Trotzdem müssen mehrere Standbeine aufgebaut werden. Angesichts der technologischen Entwicklung und der geografischen Lage bietet sich hier vor allem die Umwelttechnologie an. Doch für diese gilt das gleiche wie für andere Wirtschaftszweige auch: Sie wird sich auch im windreichen Norden nur dann auf Dauer wettbewerbsfähig ausbauen lassen, wenn die Voraussetzungen für einschlägige technologische Innovationen geschaffen werden.

Was für Innovationen sollen das sein?

Im Fall der Windenergieindustrie heißt das, dass die Werkstofftechnologie gefördert werden muss. Ich brauche modernste Werkstofftechnologien, um die Dinger stabiler und energieeffizienter zu machen, vor allem, wenn die Anlagengröße zunimmt oder ich Windparks auf hoher See baue. Damit hätte man am besten schon vor zehn Jahren anfangen müssen, als die Industrie langsam wuchs.

Jetzt ist der Zug abgefahren?

Wenn Sie Ostdeutschland betrachten, dann sehen sie deutlich, wie stark aufstrebende Regionen eine technologische Basis in Forschungsinstituten haben. Sachsen-Anhalt orientiert sich gerade sehr stark in Richtung Solartechnik. Es ist gelungen, für die Solarindustrie ein Institut in Halle zu gründen. Ebenso wie im Norden gibt es in Magdeburg einen großen Windrad-Hersteller. Schon seit langem werbe ich dafür, dass die Umwelttechnologien – eine neue Wachstumstechnologie im Osten – entsprechend „eingefasst“ werden müssen. Ein solches Materialforschungsinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft besteht bereits heute in Bremen – das ist der richtige Weg, um diese norddeutsche Schlüsseltechnologie zu fördern und dafür zu sorgen, dass die Unternehmen im nächsten Investitionszyklus nicht wieder weglaufen.

Konkurrenzintensität kann sich bei solchen Gütern wesentlich schneller ändern als bei den lokalen Gütern. Bremens Kernkompetenzen lagen in solchen wettbewerbssensiblen Bereichen. Davor hätte nur eine spezifisch ausgerichtete Förderung von Innovationen im Hochtechnologiebereich schützen können – und die hatte Bremen damals nicht.

Das soll das Land nun also nachholen – und dafür Subventionen erhalten?

Wirtschaftsförderung sollte in der Tat nur solche Investitionen bezuschussen, die innovativ sind. Alles andere bleibt wirkungslos. Es gibt Regionen im Osten, die nicht restrukturiert werden können, weil sie nicht innovativ sind. Ihnen ging es immer „schlecht“, weil sie beispielsweise agrarisch geprägt waren, sie wurden nur durch das DDR Regime hochgerüstet, zum Beispiel im Möbelbau. Heute sind sie nicht mehr wettbewerbsfähig. Das heißt aber nicht, dass sie nicht erfolgreich im Tourismus sein können. Letztlich gibt es keine schlechten Standorte, sondern nur unangepasste Industrien.

Ulrich Blum, geb. 1953, ist Volkswirt und Wirtschaftsingenieur und seit 2004 Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. In einem Zeitungsinterview hatte sich der Konjunkturforscher kürzlich gegen eine Verlängerung des Solidarpakts über 2019 hinaus ausgesprochen, weil ein reines Ostdeutschland-Programm „auf Dauer keinen Sinn mehr“ mache. Außerdem dürften Problemregionen im Westen nicht vergessen werden: Städte wie Bremerhaven hätten viel größere Probleme als etwa Cottbus. Blum plädiert dafür, den Ausgleich zwischen armen und reichen Regionen ausschließlich über den Länderfinanzausgleich zu regeln.

Diese Erfahrung mussten auch große Teile des Schiffbaus hierzulande machen. Was bleibt also noch vom „maritimen Faktor“?

Bremen positioniert sich als Logistikstandort, was durchaus zukunftsträchtig sein kann, vorausgesetzt, man bleibt Innovationsführer. Hafendienstleistungen haben da enorme Potentiale.

Jenseits des bloßen Wachstums der Umschlagsvolumina?

Absolut. Ein großer Teil der Einsparungen, die Unternehmen in den letzten Jahren realisieren konnten, waren Verbesserungen beim Supply Chain Management, also der Logistik. Wenn nun die Energiekosten steigen, werden die Logistikkosten nicht mehr so ohne weiteres sinken. Hier werden also neue, intelligente logistische Konzepte stark gefragt sein. Was aber viel wichtiger ist: Die Häfen müssen die Augen und die Sinne offen haben, für neue Dienstleistungen.

Zum Beispiel?

In Rotterdam etwa macht das Verladegeschäft nur 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung aus. Der Rest sind nicht-originäre Angebote wie Importzertifizierung oder Qualitätsmanagement, beispielsweise aus Haftungsgründen zwingend. Es bietet sich einfach an, so was gleich im Hafen zu machen. Diese hochwertigen Dienste werden in Zukunft immer wichtiger. Rotterdam ist da sehr weit entwickelt. Dadurch wird man unverzichtbar. Die Vorstellung eines Hafens ist oft die von Schiffen und Kränen. Das stimmt aber nicht. Der Hafen ist eine Drehscheibe für viel mehr.

Norddeutschland sollte sich also an Rotterdam ein Beispiel nehmen?

Die Vorteile zumindest liegen auf der Hand. Die Logistik, die kann jeder machen, aber die Intelligenz, etwa beim Prüfen von Normeinhaltungen, die bringt den Reichtum in die Regionen – und die nicht-prekären Arbeitsplätze. Ich habe deshalb auch immer wieder gefordert, im Großraum Leipzig wegen der DHL-Ansiedlung diesen Bereich durch Gründung einer Forschungseinrichtung zu entwickeln. Aber so etwas kann man auch in Bremen machen. Das ist Standortwettbewerb.

Glauben Sie, dass die Logistik allein den Standort sanieren wird?

Nein. Aber sie ist wichtig! Trotzdem müssen mehrere Standbeine aufgebaut werden. Angesichts der technologischen Entwicklung und der geografischen Lage bietet sich hier vor allem die Umwelttechnologie an. Doch für diese gilt das gleiche wie für andere Wirtschaftszweige auch: Sie wird sich auch im windreichen Norden nur dann auf Dauer wettbewerbsfähig ausbauen lassen, wenn die Voraussetzungen für einschlägige technologische Innovationen geschaffen werden.

Was für Innovationen sollen das sein?

Im Fall der Windenergieindustrie heißt das, dass die Werkstofftechnologie gefördert werden muss. Ich brauche modernste Werkstofftechnologien, um die Dinger stabiler und energieeffizienter zu machen, vor allem, wenn die Anlagengröße zunimmt oder ich Windparks auf hoher See baue. Damit hätte man am besten schon vor zehn Jahren anfangen müssen, als die Industrie langsam wuchs.

Ist es jetzt zu spät?

Wenn Sie Ostdeutschland betrachten, dann sehen sie deutlich, wie stark aufstrebende Regionen eine technologische Basis in Forschungsinstituten haben. Sachsen-Anhalt orientiert sich gerade sehr stark in Richtung Solartechnik. Es ist gelungen, für die Solarindustrie ein Institut in Halle zu gründen. Ebenso wie im Norden gibt es in Magdeburg einen großen Windrad-Hersteller. Schon seit langem werbe ich dafür, dass die Umwelttechnologien – eine neue Wachstumstechnologie im Osten – entsprechend „eingefasst“ werden müssen.

...was hier getan wird.

Ja. Ein solches Materialforschungsinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft besteht bereits heute in Bremen – das ist der richtige Weg, um diese norddeutsche Schlüsseltechnologie zu fördern und dafür zu sorgen, dass die Unternehmen im nächsten Investitionszyklus nicht wieder weglaufen.