Rad fahren mit künstlichem Rückenwind

Aufgrund der hohen Spritpreise hofft die Fahrradbranche auf gute Geschäfte. Bei der heute beginnenden Fachmesse Eurobike setzen die Hersteller nicht nur auf bessere Komponenten, sondern vor allem auf Räder mit Elektrounterstützung

VON HELMUT DACHALE

Bei der heute beginnenden Fahrradmesse Eurobike in Friedrichshafen am Bodensee sind Hersteller und Fachhändler in Partylaune. Man sieht das Fahrrad auf der Überholspur – den saftigen Spritpreisen sei Dank. Zur Leitmesse der internationalen Fahrradindustrie haben sich rund 930 Aussteller aus 36 Ländern angekündigt.

Zwar ist die Zahl der verkauften Fahrräder nach Angaben des Zweirad Groß- und Außenhandelsverband bis Juli nur um ein Prozent auf 2,84 Millionen gestiegen. Doch ohne Frage sei in den letzten Monaten mehr Rad gefahren worden, sagt Rolf Lemberg, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands: „Mittlerweile gibt es tausend Argumente.“ Deutlich angewachsen sei in der ersten Jahreshälfte vor allem der Absatz von Komponenten und Zubehör. „Für viele ist jetzt die Zeit gekommen, das Rad aus dem Keller zu holen und in Schuss zu bringen“, vermutet Lemberg.

Wie ältere Modelle getunt werden könnten und was die neuen auszeichnet, zeigt die Eurobike in großer Ausführlichkeit. Die Verbraucher, die lediglich am letzten Messetag, dem kommenden Sonntag, zugelassen sind, können 13 Hallen durchwandern und ein Freigelände umrunden. Models auf der Showbühne zeigen ihnen, wie hauteng sich Shirts und Shorts tragen lassen. Sind Rad und Radlerhose neu erfunden worden? Nein, meint Albert Herresthal, Geschäftsführer des Verbunds selbstverwalteter Fahrradbetriebe, dem gut 200 Fachgeschäfte angeschlossen sind. Aber der technische Fortschritt sei unübersehbar. Ob Beleuchtung, Schaltung oder Bereifung, hier gebe es „unglaubliche Entwicklungen“, schwärmt er. „Beim Licht sogar einen Quantensprung.“

Tatsächlich zählt beim Alltagsrad in der Preisklasse ab 600 Euro der bei jedem Wetter zuverlässige Nabendynamo mittlerweile zum Standard. Dazu passen LED-Scheinwerfer, die mit den trüben Funzeln früherer Jahre nichts mehr gemein haben. Busch & Müller präsentiert einen, der zu einer Leistung von 40 Lux fähig sein soll – fast so hell wie ein Auto. Bei den wartungsarmen Nabenschaltungen haben Shimano und Sram auf sieben, acht oder gar neun Gänge aufgestockt. Den Nabenrekord hält nach wie vor die Rohloff AG mit ihrem 14-gängigen Produkt, und zusammen haben sie es geschafft, die Entscheidungsschwierigkeiten der Kundschaft nochmals zu vergrößern. Aufrüstung gibt es auch im Fahrradreifen und in der Radlerhose. Hier sind es von Scherben kaum zu durchdringende Gewebe, die auch in schusssicheren Westen Verwendung finden, dort „unterschiedlich abgestufte Gel-Dämpfungszonen, die selbst härtere Stöße und Vibrationen aufnehmen“, so zumindest stellt es Jeantex Sportswear aus Relingen dar.

Geht es um komplette Räder, fallen Albert Herresthal zunächst die Hybrid-Bikes ein, bei denen ein elektrischer Motor zugeschaltet werden kann. Nachdem sie zehn Jahre lang aus der Nische nie so richtig herausgekommen sind, sollen sie nun vorm Durchbruch stehen. Mit dem Versprechen auf künstlichen Rückenwind soll auch die Businessclass zum Umsteigen verführt werden. Wobei auch ein Elektrorad – im Fachjargon auch Pedelec genannt – nicht ohne eigene Arbeit läuft: Nur wenn getreten wird, gibt es Motorunterstützung, meist bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Als wichtige Neuerung preisen die Hersteller, dass der Elektroantrieb nun in der Vorder- oder Hinterradnabe platziert, der Akku in einer Radtasche oder im Rahmenrohr versteckt werden kann. Und damit könne man „verdeckt unterwegs sein“, frohlockt Tobias Spindler von der Firma Riese und Müller, die in Friedrichshafen gleich mit drei Pedelecs debütiert. Die Nobelmanufaktur HP Velotechnik will ihrem neusten Liegedreirad – gefedert, faltbar, mit Designpreis ausgezeichnet und mehr als 3.000 Euro teuer – ebenfalls den kleinen Helfer spendieren. Seine Akkus könnten dann eine Reichweite bis 90 Kilometer ermöglichen.

Hightech dominiert auf der Eurobike, dazu die Grundüberzeugung, dass Hochwertiges einen entsprechenden Preis haben müsse. Doch auch einfache, solide Räder für relativ wenig Geld haben kein Hausverbot. So hat es auch das „Volksrad“ nach Friedrichshafen geschafft, produziert in Nordhausen, wo zu DDR-Zeiten Räder in Massen hergestellt wurden. Als dort schließlich der texanische Finanzinvestor Lone Star auftauchte, um auszuschlachten, reagierte die Belegschaft mit Besetzung. Jetzt heißt es: „Auferstanden aus Invest-Ruinen“. 21 übrig gebliebene Mitarbeiter haben die Strike Bike GmbH gegründet und wollen ganz Deutschland beliefern. Mit Dreigangnabe und kompletter Ausstattung kostet ihr Rad fürs Volk 300 Euro – nicht mehr als fünf Tankfüllungen eines Mittelklassewagens.