Autos für die Augen

In einem südafrikanischen Nachlass ist das lange verschollen geglaubte Foto-Archiv der Bremer Borgward-Werke aufgetaucht. Die 10.000 Negative sorgen nicht nur in der Oldtimer-Szene für Aufsehen

Von Henning Bleyl

Mit Sensationen in Oldtimer-Kreisen ist es so eine Sache: Sie beziehen sich oft auf technische Frickeligkeiten oder besonders schön polierte Stoßstangenaufhängungen. Der Fund des Borgward‘schen Fotoarchivs jedoch könnte auch allgemein interessieren: Seit der spektakulären Pleite des Bremer Autobauers, bei der 1961 19.000 Menschen ihre Arbeit verloren, galt es als verschollen. Jetzt hat es der Automobil-Historiker Peter Kurze in Südafrika entdeckt – als Teil des Nachlasses des langjährigen Goliath-Werkfotografen Walter Richleske. Dessen Witwe hatte die etwa 10.000 Negative in den 70ern an einen Borgward-Fan verkauft, der mittlerweile auf einer Ranch bei Simonstown lebt.

„Mehr als zehn Jahre war ich auf der Suche nach diesem Archiv“, sagt Kurze. In der Szene ist Kurze nicht irgendwer, sondern der Spezialist für Automobilgeschichte schlechthin – er hat bereits zwölf Bücher allein über die Bremer Produktionen veröffentlicht. Als studierter Maschinenbauer sind ihm sowohl Grundzüge als auch technische Finessen der jeweiligen Konstruktionen ein Buch ohne Siegel – und wer ihm hier nicht in jedem Detail folgen mag, kann Kurzes Werke immerhin als opulente Augenweide nutzen.

Es sind in der Tat äußerst formschöne Modelle, über die er schreibt – nicht umsonst ist die Erinnerung an Opas „Isabella“ oder Tante Gertruds „Arabella“ nicht nur in Norddeutschland fester Teil vieler Familien_egenden.

In Kurzes aktuellem Buch – es hört auf den etwas techniziden Namen „Prototypen und Kleinserien-Fahrzeuge der Borgward-, Goliath- und Lloyd-Werke“ – hat er bereits Bilder aus dem Südafrika-Fund eingearbeitet. Es handelt sich unter anderem um Produkte der Borgward‘schen Werbeabteilung – also die offenbar zeitlos beliebte Motiv-Kombination Frau und Auto, gern angereichert durch ebenfalls idyllisches Bremer Lokalkolorit. Diese Fotografien sind jedoch nicht nur ein ästhetischer Gewinn, sondern liefern auch neue Erkenntnisse etwa über Produktionsabläufe. Zudem werden zahlreiche Prototypen bekannt, die damals unter strengster Geheimhaltung gebaut wurden – um oftmals anschließend auf dem Schrottplatz der Versuchsabteilung zu vermodern.

Ein besonders spektakuläres Beispiel ist der „Traumwagen LB 2500“ von 1955, dessen 200 km/h durch gewaltige Heckflossen stabilisiert wurden. Natürlich kommen auch die Spezialisten zu ihrem Recht: Dass bereits 1951 ein vier-ventiliger Rennmotor mit oben liegenden Nockenwellen gebaut wurde, sei bislang nicht für möglich gehalten worden, sagt Kurze.

Die Existenz des bislang nur gerüchteweise bekannten „Arabella“-Coupe von 1954 konnte anhand der Fotos jetzt ebenfalls bestätigt werden – aus Kurzes Sicht erweist es sich allerdings als „potthässlich“. Kein Zweifel: Kurze ist ein eher kritischer Automobil-Historiker. Der alte Borgward habe das Unternehmen durch seine Selbstherrlichkeit ruiniert, stellt Kurze klar, „aber das kann man dem normalen Fan gar nicht vermitteln“. Sowohl in lokalpatriotischen als auch in Fankreisen hält sich nachdrücklich eine Dolchstoßlegende, der zu Folge die „geheimnisumwitterte“ Borgward-Pleite eine Machenschaft des Senats und der Banken war. Doch die Arabella-Pleite, die den Untergang einleitete, war ziemlich hausgemacht: Der zunächst sehr beliebte Wagen für die untere Mittelklasse hatte den entscheidenden Konstruktionsfehler, dass er bei Regen voll Wasser lief – und vom Volksmund flugs in Aquabella umgetauft wurde. Auch bei der Hubschrauber-Produktion verhob sich Borgward hoffnungslos.

Kurze, der schon vor dem südafrikanischen Fotofund über das weltweit größte Negativ- und Filmarchiv zu Borgward, Goliath und Lloyd verfügte, macht seine Sammlung auch JournalistInnen und HistorikerInnen zugänglich. Wobei man sich das große „I“ eigentlich sparen kann. Die Interessenten seien ausschließlich männlich, bestätigt er ein nahe liegendes Vorurteil. Mittlerweile hat der 53-Jährige einen eigenen Verlag gegründet sowie ein Online-Museum aufgebaut. Dort kann man sich mit einem Mausklick in die alte Borgwardfabrik in Bremen-Sebaldsbrück begeben und das gesamte Werk von der Konstruktionsabteilung bis ins Presswerk in Wort und Bild durchstreifen (www.borgward-museum-bremen.de).

Die zeitgeschichtlichen Hintergründe des Bremer Autobooms, das seit der Borgward-Pleite nur noch als verlängerte Mercedes-Werkbank taugt , werden keineswegs ausgespart. Borgward profitierte wie alle zeitgenössischen Fahrzeugbauer von den Wirtschafts- und Rüstungsprogrammen des „Dritten Reichs“: 1938 hatte er, dem als Sohn eines Hamburger Kohlenhändlers keine Auto-Karriere in die Wiege gelegt worden war, bereits 6.000 Mitarbeiter. Seine ursprünglich als Kühlerfabrik gegründeten Werke produzierten LKW, Zugmaschinen und sogar Torpedos, der geplante Panzer hingegen blieb Holzattrappe. Borgward selbst avancierte zum „Wehrwirtschafts-“ und Obersturmbannführer des NS-Kraftfahrerkorps. 1948 wurde er als „Minderbelasteter“ eingestuft.

Kommendes Jahr erscheint eine ausführliche Borgward-Biografie der Bremer Autorin Birgid Hanke, die erstmals sämtliche Entnazifizierungsakten ausgewertet hat. Kurze, der an diesen Recherchen ebenfalls beteiligt ist, sagt knapp: „Ein angenehmer Mensch war das nicht.“