„Wir werden viele Weltrekorde sehen“

Karl Quade, Chef des deutschen Paralympic-Teams, steht zu Peking als Austragungsort der Wettkämpfe

KARL QUADE ist Vizepräsident Leistungssport im Deutschen Behindertensportverband. Bei den Paralympics ist er Chef de Mission des deutschen Teams.

taz: Herr Quade, ist Peking eine behindertengerechte Stadt?

Karl Quade: Man kann nicht sagen, dass Peking insgesamt behindertengerecht ist. Aber das, was neu gebaut wurde in den vergangenen Jahren, das ist barrierefrei. Der Unterschied zu meinem ersten Besuch ist extrem. Es ist so realisiert worden, wie es versprochen war. Athen war für die Athleten viel komplizierter.

Gibt es aus sportlicher Sicht einen ernsthaften Konkurrenten für die Gastgeber?

Nein. China wird mit Abstand den Medaillenspiegel anführen. Ich traue der Mannschaft mehr als 100 Goldmedaillen zu. Dahinter kommen die USA und Großbritannien, das vor dem Hintergrund London 2012 mit enormen Finanzmitteln ausgestattet ist. Für mich ist es schon ein Erfolg, wenn viele Athleten Bestleistung erzielen. Es sind 50 Entscheidungen weggefallen durch die Neuordnung der Startklassen. Da müssen wir sehen, wer davon am meisten betroffen ist.

Hat Deutschland deshalb Medaillenchancen eingebüßt?

Einige zumindest. Beispielsweise fallen die 200 m weg, die Sprinter Wojtek Czyz in Athen gewonnen hat. Auch im Tischtennis wurden einige Klassen zusammengelegt. Aber das trifft andere Nationen auch. Da brauchen wir nicht zu heulen. So ist es halt.

Können sie ihre Hand ins Feuer legen, dass deutsche Athleten sauber sind?

Das kann ich nicht. Wir sind im Leistungssport. Die Athleten werden getestet. Sie müssen 24 Stunden am Tag ihren Aufenthaltsort nachweisen. Wir haben eine hohe Kontrolldichte in Deutschland. Wir haben erstmals einen Anti-Doping-Beauftragten dabei, der aufklärt und dafür sorgt, dass keine Fehler passieren. So können wir vermeiden, dass Dinge aus Dummheit passieren. Aber kriminelle Energie kann man nicht verhindern.

Ein paralympischer Sportler hat große Anti-Doping-Verpflichtungen. Ruhm und finanzielle Anerkennung sind dagegen eher gering.

Das ist grenzwertig. Die Privatsphäre ist heftig tangiert von den Regularien. Die Wahrscheinlichkeit, mal Fehler zu machen, ist groß. Beispielsweise ist die Datenbank der Welt-Anti-Doping-Agentur, bei der sich Athleten via Internet abmelden können, für Blinde gar nicht zugänglich. Das macht die Sache kompliziert.

Erwartet uns eine Leistungsexplosion bei den Spielen?

Wir werden viele Weltrekorde erleben. Das hat aber weniger mit Doping zu tun. Das ist liegt daran, dass sich der paralympische Sport noch entwickelt.“

Einige sind schon jetzt olympiareif. Schwimmerin Natalie du Toit etwa, oder der Sprinter Oscar Pistorius.

Die Durchlässigkeit hat es immer schon gegeben. 1992 gab es einen Bogenschützen, 2000 eine Läuferin. Die Diskussion um die verweigerte Olympia-Teilnahme von Pistorius hat für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Aber es ist ein weiterer Schritt in die Normalität, dass ein Athlet mit Behinderung aufgrund seiner Leistungsfähigkeit bei den Olympischen Spielen teilnehmen kann.

Das Internationale Olympische Komigtee bestimmt über den Austragungsort der Paralympics. Hätten sie sich gegen China gewehrt als Gastgeber?

Die Entscheidung wird bei der IOC-Generalversammlung getroffen. Das kann man bedauern oder nicht. Ich hoffe, dass durch die Paralympics zumindest die Situation der Behinderten in China besser wird. Das ist wichtig, und deshalb sage ich, es ist richtig, dass die Paralympics hier stattfinden.

Gibt es denn keine Auseinandersetzung innerhalb der Mannschaft über die Menschenrechtssituation?

Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen zum System. Und das ist in Ordnung so.

Was passiert, wenn ein Athlet beim Wettkampf ein T-Shirt trägt, auf dem „Free Tibet“ steht?

Dann dürfte schnell Tabula rasa gemacht werden vom Internationalen Paralympischen Komitee. Es gelten die gleichen Regeln für olympische Athleten, dass es keine politische oder religiöse Propaganda von Sportler geben darf. Ich kann mir das aber nicht vorstellen, dass ein Athlet das tut.

Gibt es denn eine entsprechende Anweisung ihrerseits?

Nein.

Gibt es Aktionen wie „Sports for human rights“ von den Netzathleten?

Nein. Ich glaube aber auch, dass man damit nicht die Welt verändert. Dieses Land befindet sich wegen der Möglichkeiten der Informationsverbreitung und der wirtschaftlichen Entwicklung in einem Automatismus. China muss sich ganz anders öffnen. Da wird in Zukunft kein Platz mehr für Betonköpfe sein.

INTERVIEW: MARCEL GRZANNA