Georgien wird zum Land der Flüchtlinge

Nach dem Krieg kommen Vertreibungen und Flüchtlingselend. Besonders aus der russisch kontrollierten Pufferzone an der Grenze zu Südossetien fliehen die Menschen. Georgiens Einwohnerzahl hat sich seit 1990 von 7 auf 4,5 Millionen reduziert

Vor dem Hintergrund der Krise in Georgien wollten die EU-Außenminister noch am Freitag über eine Anpassung der europäischen Sicherheitsstrategie beraten. „Wir müssen die Strategie mit der neuen Lage in Einklang bringen“, sagte ein EU-Beamter vor dem Treffen im französischen Avignon. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana wolle anregen, die aus 2003 stammende Sicherheitsstrategie um neue Herausforderungen wie die Energiesicherheit zu ergänzen. Erst am Donnerstag hatte die Internationale Energie-Agentur vor wachsender Abhängigkeit der EU von russischen Gas- und Öllieferungen gewarnt. Auf dem Programm des zweitägigen Treffens steht außerdem die Frage, wie die EU Georgien unterstützen kann.

VON BARBARA KERNECK

158.000 Menschen befinden sich laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR infolge des Georgien-Konfliktes auf der Flucht, davon 30.000 in dem zur Russischen Föderation gehörenden Nordossetien und noch einmal so viele in entfernteren Teilen Russlands. 98.000 halten sich im georgischen Kernland auf. Darunter sind 4.200 Flüchtlinge aus Südossetien in der nahen Stadt Gori und 15.000 Flüchtlinge aus Abchasien bei der Hafenstadt Poti.

Fast alle haben ihre Heimat Hals über Kopf verlassen und konnten nur retten, was sie auf dem Leibe trugen. Viele, vor allem die vielen Kinder, sind traumatisiert. Auf eine Dauerexistenz als Flüchtling sind sie nicht eingestellt. Alle, so berichten Betreuer, wollen noch vor dem Winter in ihre Heimat zurück.

Verwirklicht hatten dieses Ziel in der vergangenen Woche bereits 15.000 der einst 70.000 Einwohner Goris und 23.000 Bewohner Südossetiens, das vor dem Konflikt 75.000 Einwohner hatte. In Georgiens Hauptstadt Tiflis ging die Zahl der Flüchtlinge von 80.000 auf 35.000 zurück. Dabei melden sich bei den Hilfswerken immer noch neue Personen. Sie lebten bisher bei Verwandten und möchten diesen nicht länger zur Last fallen.

Verheerend wirkt sich die russische Militärpräsenz in dem sieben Kilometer breiten „Sicherheitsstreifen“ an der südossetischen Grenze aus. Anders als die meist gut informierten, nach Gori zurückgekehrten Städter wissen die Bewohner der dortigen georgischen Dörfer nicht, ob ihre Häuser noch stehen. Vor Gori haben das UNHCR und das Rote Kreuz Zeltlager errichtet, in denen Heimkehrwillige aus den russisch besetzten Gebieten nun auf Menschen treffen, die erst jetzt von dort fliehen, weil sie sich bisher für zu schwach hielten. Sie berichten von zerstörten oder ausgeplünderten Häusern, geschlachtetem Vieh, verminten Feldern und Misshandlungen durch russische Milizen. Russische Straßenposten verwehrten bisher dem UNHCR und Roten Kreuz den Zugang. Das UNHCR berichtete zu Wochenbeginn über neue Fluchtbewegungen nach Gori aus dem in Brand gesteckten Dorf Beloti. Die 200 Fliehenden hätten 20 Alte und Kranke zurücklassen müssen.

Georgien wandelte sich endgültig in ein Land der Flüchtlinge. Im Zuge der Konflikte seit dem Zerfall der Sowjetunion 1990 verarmte die einst blühende Sowjetrepublik: Von damals 7 Millionen Einwohnern waren Anfang 2008 noch 4,5 Millionen dort, der Rest war ausgewandert. Im abtrünnigen Südossetien reduzierte sich die Einwohnerzahl von 164.000 auf 75.000. Von dort flohen 50.000 ethnische Georgier, aus Abchasien gar 260.000.