Geheimtipp sein, das wär schön

Der Comiczeichner und Bühnenentertainer Fil hat mit seinen berlinernden Comicprolls Didi und Stulle Kultstatus und begeistert das Berliner Publikum mit seiner brillanten Show „Fil & Sharkey“. Mit 14 war er Punk, heute braucht er Konstanz im Leben

VON ELISE LANDSCHEK

Didi steht vor der Imbissbude „Zu Inge“ und macht sich ein Bier auf. „Stulle, mir is wat klarjeworn üba dich: Du machst zwar sehr jeschickt een uff humanoid, aber eintlisch biste nurn Furz mit Arme und Beene.“ Didi und Stulle, die beiden berlinernden Bierbudenproleten, die mit ihren Zoten über Bayern, Homosexuelle, Gott und dessen Sekretärin regelmäßig auf der Geschmacksgrenze balancieren, kennt in Berlin fast jeder, sie sind in den fast 20 Jahren ihrer papiernen Existenz zu festen Lokalgrößen aufgestiegen. Alle zwei Wochen erscheinen ihre Abenteuer im Stadtmagazin Zitty.

Es soll Menschen geben, die sich die Zeitschrift nur noch wegen des Comics kaufen, andere wiederum überblättern die vulgär-klamaukigen Schweinsfiguren mit Pickeln, Bierbauch und Potenzproblemen lieber schnell auf dem Weg zum Programmteil. Ihr geistiger Schöpfer ist der Zeichner Philip Tägert alias Fil, der manchmal auch auf der Bühne in Erscheinung tritt: Bei seiner Show „Fil & Sharkey“, die er zusammen mit seiner Gitarre und einer schizophrenen Hai-Handpuppe bestreitet.

Aufgewachsen ist Fil im Märkischen Viertel. Schon als Teenager begann er, für die damals noch linksalternative Zitty Comics zu zeichnen. „Ich habe einfach meine Nachbarn, die Biker-Gang in meiner Schule und die Arbeitslosen auf der Straße beobachtet. Wie Didi hatte ich selber immer einen Kumpel dabei, der kleiner und ordentlicher war als ich“, erzählt der Zeichner über die Idee zu seinen beiden Protagonisten, die ebenfalls im Märkischen Viertel zuhause sind.

Mit 14 wurde Fil Punk und betrank sich vor der Schule mit seinen Kumpels mit Erdbeersekt. „Punk galt damals unter uns pickligen Teenagern als cool, obwohl die eigentliche Bewegung Anfang der Achtziger schon vorbei war“, meint der heute 42-Jährige grinsend. Als er 16 wurde, schickten ihn seine Eltern für ein halbes Jahr auf eine Abenteuerreise für schwer erziehbare Jugendliche auf einem Schiff über die Nordsee. Fil kam geläutert zurück. „Die frische Luft über dem Meer und die harte Arbeit gaben mir die Konstanz im Leben, die ich auch jetzt noch brauche.“

Heute sitzt der Zeichner in seinem Atelier im Prenzlauer Berg und wirkt entspannt, er kommt gerade vom Joggen. Stifte, Papier und Pinsel mäandern über seinen Schreibtisch, in einen halbleeren Kaffeetasse brüten Eintagsfliegen. An der Wand hängen die fertigen Druckfahnen für die nächste Zitty. Drei bis vier Tage sitzt er an so einer Auftragsarbeit. „Comiczeichner ist ein einsamer Beruf. Die meisten werden mit der Zeit wunderlich“, sagt er und lehnt sich zurück. „Ich bekomme für meine Arbeit kaum Feedback. Manchmal frage ich mich, ob überhaupt einer meine Comics liest“, fügt er hinzu. In Deutschland führt der Comic ein Nischendasein, groß ist die Fangemeinde nicht. Seine Comicbücher veröffentlicht er in kleinen Verlagen wie Reprodukt.

Allein vom Zeichnen könnte er sich finanziell nicht über Wasser halten, die Honorare reichen nicht einmal für die Miete. Außerdem braucht er zu dem zurückgezogenen Leben des Zeichners ein Kontrastprogramm. Mit den „Fil & Sharkey“-Shows verdient er sein Geld und bekommt sein Publikum zu Gesicht, das er bei den Comics nur erahnen kann. Seine Gitarre quietscht, die Reime rumpeln und die Witze treffen direkt zwischen die Augen der Political-Correctness-Verfechter. Inzwischen sitzen selbst Fils liebste Opfer, die Medienkölner, Ökoschwaben und Marzahner Versicherungsvertreter, im Publikum und wischen sich die Lachtränen aus den Augen. Fil fängt alle, die sich auf ihn einlassen wollen – mit seiner Bühnenpräsenz und seiner dilettantisch-genialen Mischung aus markigen Sprüchen und sensiblen Detailbeobachtungen.

Bei seinen Shows verfährt er nach einem ähnlichen Muster wie bei den Comics: Die Inspiration holt er sich aus den alltäglichen Widersprüchen in seiner Umgebung, in die er sich auch selbst verwickelt fühlt. Vom Dach seines Ateliers sieht er auf neugebaute Townhouses, die den ranzigen Altbau wie eine Insel umgeben, die Abendsonne spiegelt sich in den riesigen Fensterfronten. „Neue, teure Häuser mit neuen, teuren Menschen, das interessiert mich“, sagt er schelmisch. Im Gegensatz zu früher hütet er sich allerdings davor, Urteile vorschnell zu treffen. „Ich beobachte nur und treibe das in meinen Witzen auf die Spitze. Schließlich bin ich ja ein Teil dieser Prenzlauer-Berg-Clique geworden, auch ich habe ein Kind und sitze auf schicken Spielplätzen.“

Von dem Rebell der Achtziger ist wenig zu erahnen, wenn Fil mit seiner fünfjährigen Tochter durch den Mauerpark spaziert. Er ist ruhiger geworden, vor kurzem hatte er eine schwere Operation. „Auf Dauer immer lustig sein zu müssen, ist wahnsinnig anstrengend.“ Die Zahl seiner Auftritte hat er daher zurückgefahren. In seinem Atelier läuft indische Meditationsmusik. Er hat den Zen-Buddhismus für sich entdeckt, erzählt der Ex-Punk und sagt Sätze wie: „Die Hoffnung birgt die Verzweiflung schon in sich.“ Eine leise Melancholie hat sich in das Leben des ewigen Clowns eingeschlichen. Die Lokalberühmtheit, die er in Berlin genießt, ist ihm fast zu viel geworden. Sein Vorbild war früher ein Liedermacher namens Lothar von Versen. „So richtig bekannt ist er nie geworden und daher so sympathisch geblieben. Das wäre auch mein Traum gewesen: immer der ewige Geheimtipp zu sein.“ Fils Vorstellungen sind heute allerdings regelmäßig ausverkauft. „Ich habe jetzt irgendwie schon alles erreicht. Ich bräuchte jetzt ein neues Ziel.“ Wenn er keine Lust mehr haben wird auf seine Alter-Egos in den Shows wie Dirk de Soleil oder den plappernden Hai Sharkey, will er ein Buch schreiben. „Einen Horror-Kriminalroman oder so was.“ Mit berlinernden Bierkneipenproleten? Fil lacht leise – und schweigt.

Vom 9. bis 13. September tritt Fil mit einem Best-Of-Programm im Comedy Club Kookaburra auf, Schönhauser Allee 184. Beginn: 20.30 Uhr