Polizeialarm in der ARGE

Unfeine Methoden: Anstatt sich um die Bedürfnisse einer langzeitarbeitslosen ALG II-Bezieherin zu kümmern, ruft eine Oldenburger Arge-Mitarbeiterin die Ordnungshüter. Typisch für das Amt, das bundesweit einen zweifelhaften Ruf genießt

Frau S. war arbeitslos und wollte da raus. Also hat sie eine Ausbildung begonnen

Von BENNO SCHIRRMEISTER

Da hatte man immer geglaubt, der Gebrauch des Wortes Kunde durch die ARGEs sei ein besonders fieser Euphemismus, pure Schönfärberei. Das Wort hat aber mit Dienstleistung ohnehin wenig zu tun. Ursprünglich heißt Kunde so viel wie Augenzeuge. Und das, was Frau S. in der Oldenburger ARGE erlebt hat, mag tatsächlich kaum glauben, wer nicht dabei war: Ihre „Kunden“-Betreuerin wollte sie nicht bedienen, weil sie Beistände mitgebracht hatte. Der Oberkundenbetreuer rief die Polizei und stellte Strafanzeige: wegen Hausfriedensbruchs.

Frau S. war arbeitslos und wollte da raus. Also hat sie Ende 2007 eine Ausbildung begonnen, als Hauswirtschafterin. Von April an jobbte sie außerdem als Haushaltshilfe. Klar, da verdient man nicht genug zum Leben, vor allem nicht, wenn man es allein mit einer 13-jährigen Tochter zu bewältigen hat und deren ältere Schwester wegen einer Behinderung in einem Wilhelmshavener Heim wohnt. Aber wenigstens hat sie Anrecht auf ALG II.

Das wird, wegen des Jobs, reduziert ausgezahlt: Gängige Praxis, bestätigt die Regionaldirektion, zunächst eine Pauschale abzuziehen – und die Differenz zu erstatten, sobald die tatsächlichen Einkünfte bekannt sind. Im Fall von Frau S. klappt Letzteres nicht. Womit zu rechnen war, schließlich lebt sie in Oldenburg, und die dortige ARGE hat einen zweifelhaften Ruf: Bei der online-Umfrage von sozialhilfe24.de wird sie mit mangelhaft bewertet.

Trotzdem, Frau S. kommt noch über die Runden – bis die Stelle ausläuft. Sie nimmt einen neuen Job an und „ab dem Zeitpunkt“, sagt sie, „wurde es ganz schlimm“. Grund: Ihr Vertrag würde einen Verdienst von bis zu 600 Euro erlauben. „Es war aber von Anfang an klar, dass ich nur ab und zu als Aushilfe einspringen würde“. Als Krankheitsvertretung zum Beispiel. Entsprechend hatte sie der ARGE mitgeteilt, dass sie damit rechne, unter 400 Euro zu bleiben. Die Sachbearbeiterin erhöhte dennoch den pauschalen Abzug auf 600 Euro. Auf Nachweise, Bitten und Vorhalte reagiert sie nicht. Hat sie ja auch vorher nicht getan.

Im Juli verdient S. 111 Euro. Im August nichts, weil sie sich auf Prüfungen vorbereitet. Anfang September droht der Energielieferant, Gas- und Strom zu sperren. Ihr Vermieter weist darauf hin, dass er ihr fristlos kündigen könnte. Schließlich lässt sich vom Konto von Frau S. nichts mehr abbuchen.

Sie holt sich Unterstützung bei der Arbeitslosenselbsthilfe (Also). Das Sozialgesetzbuch (SGB) erlaubt das. Es verpflichtet die Sachbearbeiter sogar, „Bevollmächtigte und Beistände“ anzuhören. „Vom mündlichen Vortrag können sie nur zurückgewiesen werden, wenn sie zum sachgemäßen Vortrag nicht fähig sind“, heißt es im Sozialgesetzbuch. In Oldenburg führt das zum Eklat.

Es war nicht nur ein Beistand, es waren zwei und der über 70-jährige Vater. „Die Sachbearbeiterin“, sagt Volker Trautmann, der ARGE-Geschäftsführer, „fühlte sich provoziert und bedroht“. Ihr Vorgesetzter hat sie in ihrer Weigerung, den Fall zu bearbeiten, unterstützt – und darauf bestanden, dass Frau S. nur ein Beistand zustehe. Dabei hatte ihr Vater für sie die Berechnungen gemacht, „weil ich einfach nicht mehr durchgeblickt hatte“. Einen fachlich versierten Berater wollte sie unbedingt mitnehmen.

Das SGB gibt keine Auskunft über die Zahl der Beistände. In einschlägigen Paragraphen tauchen sie mal im Singular, mal im Plural auf. Solche Streitfragen ließen sich durch die Diskussionen klären. Oder aber durch Gewalt. Die Also-Leute schlagen vor, dass einer draußen bleibt, der Obersachbearbeiter holt die Polizei.

„Wir haben dann so ein bisschen auf Spaß-Guerilla gemacht“, sagt Michael Bättig von der Also. Die Polizisten hätten „eine aufgebrachte Menge vorgefunden“, so Sascha Weiß von der zuständigen Inspektion.

Immerhin weigerte sich der Obersachbearbeiter nicht mehr, Frau S., ihren Vater und einen weiteren Beistand zu empfangen, als einer der Beamten konstatiert, dass das ja wohl „kein Problem sein dürfte“. Und immerhin hält er es auch nicht mehr für problematisch, Frau S. ad hoc schon mal 1.120 Euro fälschlich einbehaltene Leistungen auszuzahlen, bar auf die Hand. „Was uns stört“, resümiert ARGE-Chef Trautmann, „ist, wenn Druck auf uns ausgeübt wird.“ Kunden hingegen, die sich gottergeben auch in falsche Bescheide fügen, wird man jederzeit gern bedienen.