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deutsche regionalzeitungen über den freien fall des friedbert pflüger in berlin

Die Berliner Morgenpost jammert: Aus der Bundespolitik wird sich nach diesen Chaostagen so schnell niemand mehr nach Berlin trauen. Im Gegensatz zur Banken-Affäre, die von außen über die damals regierende CDU kam, ereignete sich jetzt eine Implosion: Die Berliner Union zerstörte sich von innen heraus. Der neue Fraktionschef Frank Henkel muss jetzt die CDU wieder handlungsfähig machen, um den rot-roten Senat anzutreiben. Henkel betonte, dass er am Kurs einer modernen Großstadtpartei festhalten will. Ob er das schafft, ist offen. An der Struktur der mächtigen Kreischefs wird sich nach der Krise wenig ändern, Henkel gehört selbst dazu.

Potsdams Märkische Allgemeine schimpft: Machtfragen regelt man zu Beginn und wartet nicht, bis sich geschwächte und unter öffentlichem Druck stehende Provinzfürsten erholen und in ihrem Kartell wieder bequem einrichten können. Pflügers Geschichte ist eine Fortsetzungsgeschichte. Ein weiterer Beleg dafür, wie das Berliner Bezirks-Mittelmaß in seiner Wagenburg-Mentalität das Fremde wegbeißt, es sei denn, es ordnet sich ein. Die Berliner CDU steht wieder da, wo sie nach Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky stand. Und nach Lage der Dinge, wenn die Mitglieder nicht selbst den Laden gewaltig aufmischen, wird es so werden, wie man es seit dem Herbst 2001 gewohnt ist: Statt Wolfgang Schäuble an der Spitze eben Leute wie Frank Steffel, die sich mangels selbstkritischer Fähigkeiten einfach nur hoffnungslos überschätzen.

Berlins Tagesspiegel sinniert: Die Sympathien für Pflügers Weg, der raus aus den Hinterzimmern und hinein ins pralle Leben führen sollte, sind in der Partei weitaus größer, als es in diesen Tagen den Anschein hat. Nur verbindet sich in der CDU die Vorstellung einer zeitgemäßen bürgerlichen Politik für Berlin eben mit der Sehnsucht nach einer starken, geachteten Persönlichkeit, die gerne auch im offenen Hemd der Partei die nötige Anerkennung verschafft, um ernst genommen zu werden mit dem Anspruch, die Stadt zu regieren – einer wie Londons neuer Bürgermeister Boris Johnson vielleicht.

Der General-Anzeiger aus Bonn kritisiert: Was in Berlin passiert ist, kommt einem Erdrutsch gleich. Denn mit der Abwahl von Friedbert Pflüger aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden der CDU hat sich die Hauptstadt-Union so eindeutig gegen Modernisierung und Öffnung entschieden, dass es nur noch traurig ist. In der Stadt des Mauerfalls achten ausgerechnet die Christdemokraten peinlich-provinziell genau darauf, dass die alten Mauern stehen bleiben, kein frischer Wind, kein neues Denken durch die Ritzen dringt.

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