ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über falsche Amis

„Knock ’em dead, boys!“

In Berlin gibt es viele Ausländer: Russen, Türken, Polen, Italienern und Griechen haben es geschafft, ihre Kultur hier im Ausland zu erhalten und damit das Leben der Stadt zu bereichern. So findet man im Telefonbuch gleich fünf verschiedene kurdische Kulturvereine. In der Skalitzer Straße gibt es einen italienischen Lebensmittelmarkt neben einer Buchhandlung für spanische Literatur. Und überall in Kreuzberg gibt es jede Menge Clubs, wo sich die Türken zusammentun, um türkische Probleme auf Türkisch zu diskutieren.

Bei uns Amis ist das alles anders. Es gibt allenfalls McDonald’s, wo das schlechteste Essen meines Landes nachgemacht wird, und das Sony-Cinemaxx-Kino, wo die schlechtesten Filme meines Landes in Originalfassung zu sehen sind. Man wird zwar überall mit einem Wirrwarr von kommerziellem amerikanischem Schrott konfrontiert, aber viele der schönsten Seiten unserer Kultur – z. B. echter Apple Pie oder die Live-NBA-Basketballspiele am Sonntagnachmittag – gehen irgendwo zwischen Coca-Cola und der Wildnis des Marlboro-Manns verloren. Ich habe deshalb eine seltsame Art von Heimweh bekommen: Ich ekle mich vor dem „Amerikanischen“, das ich hier sehe, und sehne mich nach all dem „Amerikanischen“, das hier nicht vorhanden ist.

Es wird daher nur allzu verständlich sein, wie sehr ich mich über ein Bluegrass-Konzert in Kreuzberg gefreut habe, denn Bluegrass ist so etwas wie die traditionelle Volksmusik des Südostens der Staaten, aus dem auch ich ursprünglich herkomme. Die Texte handeln von den wichtigen Sachen im einfachen Leben eines ländlichen amerikanischen Prolls: Frauen, Geld und Alkohol. Natürlich geht es immer darum, wie schön es wäre, wenn man eben davon etwas mehr bekommen könnte. Aber die Musik ist, obwohl manchmal von tragischen Texten begleitet, immer recht aufmunternd. Ein solches Konzert war genau das, wonach ich gesucht hatte: echte, schöne amerikanische Kultur.

Ich ging an dem Abend sehr früh in das „Wild at Heart“ in der Wiener Straße, um einen guten Platz in dem immer überfüllten Club zu ergattern. Daher hatte ich Zeit, den kleinen Zettel mit der angeblichen Geschichte der Band zu lesen. Doch schon der Lobspruch von Bill Monroe, dem Vater der modernen Bluegrassmusik, hat meinen Verdacht erweckt. Erstens ist Bill Monroe – soweit ich weiß – schon lange tot, und zweitens waren in dem englischen Text einige sehr seltsame grammatikalische Fehler enthalten. Na ja, dachte ich mir, vielleicht hat Herr Monroe am Ende seines Lebens das schwere Schicksal seiner Texte insofern überwunden, als er immer genug Whisky hatte, um sich ausreichend zu besaufen.

Aber als die Band in den Saal kam, sind mir noch weitere merkwürdige Sachen aufgefallen. Als die Musiker an mir vorbei zur Bühne gingen, reagierten sie auf meine volkstümlichen amerikanische Grüße („Knock ’em dead, boys!“) nur mit einem verlegenen Gesichtsausdruck. Und als der Sänger dann anschließend die Band vorstellte, hatte er einen deutlichen mitteleuropäischen Akzent.

Mir wurde klar, dass diese „Ur-Amis“ gar keine Landsleute von mir waren. Es waren Deutsche! Ich wollte sofort aufstehen und „Betrug“ schreien, tat es aber nicht, weil die Stimmung im „Wild at Heart“ wie üblich zwar heiter war, aber auch leicht in eine Barschlägerei hätte kippen können. Also saß ich da und grummelte vor mich hin. Das Schlimmste war, dass diese Band Lieder ausgewählt hatte, die alle das Stereotyp der Deutschen von den schlimmen, kriegerischen Amerikanern bestätigten. Sie spielten nur Lieder über den glorreichen amerikanischen Einsatz im Zweiten Weltkrieg und sangen Lobeslieder für die US-Regierung. Dagegen gab es aber keine der bei Bluegrassbands üblichen Lieder über die verheerenden Auswirkungen von selbst gebranntem Kartoffelschnaps, die womöglich eine gewisse Solidarität bei dem besoffenen Publikum erweckt hätten.

Die Zuschauer amüsierten sich zwar, aber ich hatte schon nach den ersten zehn Minuten echt genug von diesen Schein-Amis und ging weg. Vor der Tür machte ich Halt, um eine Zigarette anzuzünden, und bedauerte, dass ich schon wieder einer verwässerten Version meiner Kultur ausgesetzt worden war. Es ist kein Wunder, wenn die ganze Welt einen schlechten Eindruck von uns hat, denn es werden immer nur die leicht verdaulichen und nie die widersprüchlichen, aber guten Ausprägungen unserer Kultur gezeigt. Aber ich bleibe tapfer, und irgendwann werde ich die echte amerikanische Kultur in Berlin finden. Vermutlich bei einem Deutschen Liederabend.

Arno Holschuh (27) arbeitete als Reporter in Kalifornien und lebt derzeit für ein Jahr als Fulbright-Stipendiat in Berlin