Das Geheimnis von Bokor

Alte Pracht in neuen Ehren: Das Palace-Hotel im kambodschanischen Bokor ist nach Jahrzehnten des kriegsbedingten Verfalls wieder zugänglich – als romantische Ruine inmitten eines Nationalparks, der mit Waffengewalt gegen Wilderer verteidigt wird

von VOLKER KLINKMÜLLER

Für Ek Phyrum geht ein überaus erfolgreicher Tag zu Ende: Zwischen seinen bewaffneten Leuten hinten auf der Ladefläche des Pick-ups scheppern ein konfisziertes Moped, zwei erbeutete Kettensägen und einige Käfige mit Gürteltieren und einer großen Pythonschlange.

Seit im Kampf gegen Wilderer und illegale Holzfäller in Kambodscha neue Saiten aufgezogen werden, kann der Chefwildhüter die Naturschätze des Nationalparks von Bokor effektiv verteidigen. Bewaffnet mit chinesischen AK-47-Gewehren, ausgerüstet mit japanischen Enduro-Motorrädern, gut motiviert durch Geld und Sonderleistungen der westlichen Naturschutzorganisation „WildAid“, geht der 32-Jährige mit seinem Trupp entschlossen auf Patrouille – obwohl sie manchmal aus dem Dickicht beschossen werden.

Die „Cardamom-Mountains“, wie sie auf Landkarten bezeichnet werden, gelten als eines der letzten Rückzugsgebiete wilder Elefanten, Tiger und anderer vom Aussterben bedrohter Tierarten in Kambodscha. „Die kleinen Rauchfahnen dort drüben könnten von Wilderern stammen, die große dort hinten wahrscheinlich von einer illegalen Sägemühle“, vermutet Ek Phyrum, als er seinen Blick zum Sonnenuntergang noch einmal in die Ferne schweifen lässt. Einen besseren Ort als die Dachterrasse des Palace-Hotels kann es dafür wohl kaum geben.

Weniger faszinierend sieht es im Inneren der ehemaligen Luxusherberge aus. In den 26 Zimmern und Suiten gammelt eine Schicht aus Unrat, zerbröseltem Art-Deco-Zierat und den verkokelten Überresten des einstigen Mobiliars vor sich hin. In den Wänden klaffen Einschusslöcher und lang gezogene Furchen der herausgeschlagenen Stromleitungen, die von Graffiti-Inschriften in Khmer, Vietnamesisch und Englisch umrahmt werden. Mancherorts zeugt nur noch die Befliesung vom einstigen Glanz des Hotels, das mit zwei Ecktürmen und der großzügigen Treppenanlage das imposanteste Bauwerk im bizarren Ruinenfeld von Bokor darstellt.

Insgesamt waren es rund 3,5 Millionen Hektar Landesfläche, die von der Regierung im November 1993 unter Natur- bzw. Landschaftsschutz gestellt worden waren. Aber viele der landesweit insgesamt 23 Gebiete waren bis vor wenigen Jahren noch in Rebellenhand und wurden – in Zusammenarbeit mit thailändischen Geschäftsleuten und Militärs – exzessiv abgeholzt. Auch die Regierung in Phnom Penh verstand sich bestens auf Kahlschlagpolitik in den Wäldern und versucht erst jetzt in Zusammenarbeit mit „Global Witness“ ernsthafter, den verhängnisvollen Raubbau an der Natur einzudämmen.

Bei diesen Bemühungen hilft die Naturschutzorganisation „WildAid“. Kreativ bis aggressiv geht sie weltweit gegen die Ausplünderung natürlicher Ressourcen vor – bessert staatliche Ranger-Gehälter durch Prämien auf, verfolgt mit detektivischer Hartnäckigkeit Mittelsmänner im Wildtierhandel, veranlasst Razzien in Spezialitätenrestaurants oder lässt Asiens Megastar Jackie Chan in TV-Spots auftreten, um eindrucksvoll gegen den Verzehr und die fatale medizinische Verarbeitung von selten gewordenen Wildtieren zu agieren.

Über 32 Kilometer schlängelt sich der Weg nach Bokor durch dichten Dschungel. Vielerorts haben die Fluten der Monsunzeit den Teerbelag weggeschwemmt und ein steiniges Flussbett in die Straße gegraben. Kaum zu glauben, dass es sich bei dieser kurvenreichen Strecke, die nur mit Motorrädern, Geländewagen oder hochbeinigen Pick-ups bezwungen werden kann, um die Überreste einer einst zweispurigen Asphaltstraße handelt. Nach fast zwei Stunden ist die rund 1.000 Meter über dem Meeresspiegel liegende „Sommerfrische“ erreicht: Neben der rußgeschwärzten Ruine des Palace-Hotels sind es vor allem der verrostete Wasserturm, die verwaiste katholische Kirche oder die Fragmente eines Spielcasinos, die ins Auge fallen.

Einst zählte Bokor zur Kette der „Stations Climatiques“, in denen sich die von Heimweh und tropischem Klima geplagten Kolonialisten Indochinas Linderung versprachen. In Vietnam gehörten die von den Franzosen ausgebauten Höhenkurorte Dalat und Sapa dazu, in Myanmar war es der von den Briten verklärte Gebirgsort Maymyo. Für Kambodscha wurde die Hochebene von Bokor auserkoren, weil sie stets eine frische Brise und selbst in der heißen Jahreszeit Temperaturen von nie mehr als 24 Grad zu bieten hatte.

Anfang der 20er-Jahre entstanden die ersten Bauten, darunter auch das Palace-Hotel und eine Villa für Kambodschas damaligen König Monivong. Im Zweiten Weltkrieg marschierten die Japaner ein, zwischen 1946 und 1950 wurde Bokor von vietnamesischen „Vietminh“-Rebellen zerstört, die gegen die Kolonialherren zu Felde zogen. Erst auf Weisung von Monivongs Nachfolger wurde der Ort in den 60er-Jahren wiederbelebt: Prinz Sihanouk, der heute als König erneut Staatsoberhaupt Kambodschas ist, ließ sich ein eigenes Chalet errichten, das Palace-Hotel sanieren und eine große Gärtnerei anlegen.

„Es war eine wundervolle, glückliche Zeit. Dieser Ort war Tag und Nacht lebendig“, schwärmt Ke Say, die damals für das Unkraut auf den Straßen zuständig war und von der „Phnom Penh Post“ als betagte Zeitzeugin gefunden werden konnte. „Es kamen so viele Autos und Menschen, dass der Verkehr nie unterbrochen war!“ Denn die Oberschicht folgte ihrem Monarchen in die Berge. Immer mehr luxuriöse Villen und Urlauberunterkünfte machten Bokor zu einem Juwel des frühen Kambodscha-Tourismus. Ein Spielcasino mit Roulettetischen lockte vergnügungssüchtige Abendbesucher aus Phnom Penh (für die Rückfahrt gab es sogar eine Nachtbusverbindung) in die spektakuläre Szenerie.

Die große Party von Bokor endete 1970 mit dem Putsch von Premierminister Lon Nol, der das Land immer tiefer in den Vietnamkrieg rutschen ließ. Der Spielplatz wandelte sich zum Kriegsschauplatz: Die Bauern-Guerillas der Roten Khmer eroberten die Hochebene, anschließend auch das ganze Land. Als im Frühjahr 1975 der Steinzeitkommunismus Pol Pots begann, hatten die letzten Zivilisten Bokor schon längst verlassen.

Anfang 1979 soll drei Monate um das strategisch günstig gelegene Bokor gekämpft worden sein. Die einrückenden Vietnamesen besetzten das Palace-Hotel, während sich die Roten Khmer in der nur 500 Meter entfernten Kirche verschanzten und sich später in den Schutz der Berge zurückzogen. Dort blieben sie auch, als die Truppen der Vereinten Nationen während ihrer Friedensmission 1992 in Bokor einrückten, um auf dem 1.080 Meter hohen, ganz in der Nähe des Ruinenfelds gelegenen Phnom Popok eine Funkstation zu errichten. Heutzutage kümmert sich Ek Phyrum mit seinen Wildhütern um das Wohlergehen von Besuchern, führt sie durch die Ruinen und beantwortet an der rostigen Geschützstellung neugierige Fragen nach dem Verbleib der Roten Khmer – wobei er nicht selten auf einige seiner Leute zeigt.

Unterwegs zeugen der frische Dung wilder Elefanten oder auch Überreste eines von Tigern erlegten Wildschweins davon, dass sich hier ein faszinierender Naturschatz verbirgt: Wie vielleicht auch das „Kouprey“-Wildrind, das erst in den 30er-Jahren als eines der letzten großen Säugetiere entdeckt wurde und zu den am meisten gefährdeten Tierarten der Welt gehört. Oder 30 neue Pflanzenarten, die nur hier vorkommen sollen, sowie verschiedene vom Aussterben bedrohte Edelhölzer.

Auf lokalen Märkten kann ein Kubikmeter aus dem Kern des „Beng Trees“ zwischen 400 und 1.000 US-Dollar einbringen. Da lässt es sich verkraften, wenn von den Wildhütern mal eine 800 Dollar teure Kettensäge einkassiert wird. „Manchmal werden stattliche Urwaldriesen aber auch nur gefällt, um an die Früchte in der Krone oder bestimmte Substanzen zu gelangen“, berichten die Nationalpark-Ranger von Bokor, „während die Täter auf ihren Touren fast das gesamte Wildleben auslöschen.“ Zurzeit seien vor allem „Yellow Vine“ für die Herstellung bleichender Hautcremes oder „Tep Prool“ gefragt, für die von der Kosmetikindustrie horrende Preise bezahlt würden.

„Um die illegale Jagd und Verbrechen im Wald zu beenden, müssen wir alle am gleichen Strang ziehen!“, meint Ek Phyrum. Deshalb werden erwischte Täter auch nicht nur mit dem Entzug ihrer Beute, ihrer Waffen, des Fahrzeugs oder einer Geldbuße bestraft: „WildAid“-Mitarbeiter haben die Wildhüter darauf geschult, ihren Kontrahenten mit rituellen, moralischen Belehrungen ins Gewissen zu reden, um ein Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung zu erzeugen – auch wenn die manchmal schießen oder mit Handgranaten werfen …