kopfloser kotzbrocken von RALF SOTSCHECK
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Auch ohne Kopf erkennt man sie: Die strenge Kostümjacke, die Hände über dem Bauch gefaltet, am Arm die unvermeidliche Handtasche – das kann nur Margaret Thatcher sein. Die zwei Meter hohe Marmorstatue der früheren Premierministerin, die längst als Baronin im Oberhaus geparkt ist, steht seit mehr als einem Jahr in der Londoner Guildhall-Galerie. Nun ist sie allerdings einen Kopf kürzer.

Im vergangenen Juli stattete der 37-jährige Paul Kelleher der Galerie einen Besuch ab, bewaffnet mit einem Kricketschläger. Damit schlug er der Statue den Kopf ab. Kurz vor Weihnachten kam es zum Prozess. Kelleher wurde wegen Sachbeschädigung angeklagt. Er bestritt nicht, die „Statue gestutzt“ zu haben, meinte jedoch, damit im gesetzlichen Rahmen gehandelt zu haben. „Es war ein gerechtfertigter Protest gegen ihre politische Ideologie“, sagte er, „ein künstlerischer Ausdruck voller satirischem Humor.“ Seine Aktion sei also auch Kunst gewesen.

In England müssen die Behörden in letzter Zeit immer häufiger darüber entscheiden, was Kunst ist. Neulich schritt die Staatsanwaltschaft gegen eine Ausstellung in einer Ost-Londoner Privatgalerie ein, weil dort das Foto eines zwölfjährigen Mädchens in der Badewanne gezeigt wurde. Das Foto ihrer Tochter hatte die Künstlerin Annelies Strba vor 17 Jahren aufgenommen, es ist seitdem in zahlreichen Kunstbüchern veröffentlicht worden. – Der Stadtrat von Edinburgh hat daraufhin vorsichtshalber sämtliche Aufführungen der Weihnachtsgeschichte an den Schulen verboten, um der Pädophilie keinen Vorschub zu leisten.

In Kellehers Fall erklärte Richter Aikens den Geschworenen, dass sie den Angeklagten nur dann freisprechen dürfen, wenn sie davon überzeugt seien, dass sein Wohlergehen und das seines zweijährigen Sohnes durch das wirtschaftliche und politische System, das durch Thatcher personifiziert wird, unmittelbar bedroht sei. Da der Sohn fünf Jahre nach Thatchers Abgang geboren wurde, mussten die Geschworenen indirekt auch entscheiden, ob Labour-Premier Tony Blair der politische Enkel der eisernen Lady ist und ihre Politik fortführt.

Wie bereits zu ihren aktiven Zeiten, so spaltete Thatcher auch in dem Gerichtsverfahren die Nation. Die Geschworenen, acht Frauen und vier Männer, kamen nach knapp vier Stunden Beratung zu keinem Urteil. Ihr Sprecher erklärte dem Richter, dass sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag tagen könnten, ohne zu einer Entscheidung zu gelangen.

Kelleher hatte versucht, die Geschworenen zu becircen, indem er ihnen „Märtyrerkränze“ versprach: „Eure Namen werden in die Geschichte eingehen als diejenigen, die sich die Macht vom Establishment zurückerobert haben.“ Dafür hätte er seine Tat freilich 30 Jahre früher begehen müssen und sich nicht mit dem ondulierten Marmorkopf begnügen dürfen.

In zwei Wochen wird der Prozess mit neuen Geschworenen fortgeführt. Thatcher wird sich gefreut haben, dass Kelleher wenigstens einen Kricketschläger, das englischste aller englischen Sportgeräte, zu ihrer Enthauptung benutzt hat.