AUCH BUNDESHILFEN KÖNNEN BERLINS PROBLEME NICHT LÖSEN
: Museum der Mentalitäten

Wir sollen über Berlin reden. Das wünschen sich die Berliner. Deren Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat im noch tagejungen neuen Jahr schon zwei Anläufe unternommen, sein kriselndes Gemeinwesen auf die politische Agenda der Republik zu setzen. Der Bundespräsident solle eine Kommission einsetzen, die über eine so genannte Hauptstadtfunktion grübeln möge. Und – profaner, aber realistischer – endlich soll per Klage vor dem Verfassungsgericht festgestellt werden, ob und in welcher Höhe der Bund und die anderen Länder an der Entschuldung Berlins mitwirken. Kommission und Gericht sind also schlicht zwei Versuche, Legitimation zu erzeugen für Transferleistungen. Also: für das Geld anderer Leute.

Hilflose Versuche. Eine solche Hauptstadtkommission hätte man Anfang der Neunzigerjahre installieren können. Damals war der Glaube noch stark, in Berlin werde sich mehr verändern als nur die Architektur im Regierungsviertel und am Potsdamer Platz. Nun ist es zu spät. Die Berliner Zweige der Unternehmen schrumpfen wieder zu Provinzfilialen. Die Zeitungen stampften ihre Berlin-Berichterstattung ein. Die neuen Milieus verflüchtigen sich eher, als sie sich verfestigen. Das Experiment Metropole ist abgebrochen.

„Berlin von morgen“ ist also erst mal perdu. Tatsächlich gibt es nicht einmal ein Berlin von heute. Die Gegenwart dieser seltsamen Stadt ist ein Nebeneinander von verschiedenen Vergangenheiten. Hier gibt es noch Stadtviertel mit Eckkneipen, die überall sonst mit den proletarischen Milieus verschwanden. Dort findet im kleinbürgerlichen Westen noch der Kalte Krieg statt. In Kreuzberg wird immer noch die Alternative zu einer Gesellschaft gelebt, die es längst nicht mehr gibt. In den Plattenbaubezirken des Ostens trotzt eine abgewickelte Nomenklatura erstaunlich erfolgreich allen Veränderungen. Und der öffentliche Dienst tut in Berlin, als würden die Siebzigerjahre ewig währen. Kurz: Die Hauptstadt ist ein Museum für deutsche Mentalitäten. Das ist die eigentliche Funktion Berlins: Hier stellt eine Stadt die Frage, die sich so auch für die entindustrialisierten ostdeutschen Landschaften stellt: Was tun, wenn Fortschritt nicht mehr stattfindet? ROBIN ALEXANDER