Feldzug gegen schlechtes Image

Die rechte Regierung in Paris hat ihre Lehren gezogen aus dem Verhalten früherer Regierungen: Die hatten ähnliche Katastrophen stets heruntergespielt

aus Paris DOROTHEA HAHN

Sechs Wochen haben die Franzosen an der Atlantikküste angsterfüllt aufs Meer gestarrt. Und gehofft, dass zumindest diese eine Ölpest an ihnen vorbeigehen würde. Vergeblich. Seit ein paar Tagen bringt ihnen jede neue Flut klebrig-giftige Reste aus dem Rumpf der vor der galicischen Küste gesunkenen „Prestige“. Zuerst kamen kieselsteingroße Klümpchen, die sich als schwarze Tupfer auf den Stränden verteilten. Am Samstag waren es schon kuhfladengroße Klumpen. Und gestern schwappten riesige Öllachen vor der Bucht von Arcachon.

Mehrere hundert Küstenkilometer zwischen der Insel Yeu im Norden und Arcachon im Süden haben bereits etwas von der „Prestige“-Ölpest abbekommen: vier Départements, in denen sich Frankreichs längste Sandstrände befinden und wo sich ein Großteil der Austern- und sonstigen Muschelzucht befindet. Wie viel Öl noch folgen wird, und wie lange es dieses Mal dauern wird, bis die schwarze Flut vorbei ist, weiß niemand.

In Paris ist hektischer Aktionismus ausgebrochen. Staatspräsident Jacques Chirac persönlich hat einen Feldzug gegen die „Verbrecher der Meere“ angekündigt, die „zynisch von der Undurchsichtigkeit des gegenwärtigen Systems profitieren“. Am Samstag stapfte dann Premierminister Jean-Pierre Raffarin über einen besonders ölgesprenkelten Strand am Cap Ferret. Jeden Sommer sonnen sich dort an die 100.000 Touristen. Jetzt haben die Behörden „Betreten verboten“ an die Standzugänge gestellt. „Ich bin gekommen, um Ihnen meine Wut zu übermitteln“, hat Raffarin den örtlichen Austernzüchtern gesagt. Und Versammlungen mit allen örtlichen Verantwortlichen versprochen. Denn: „Wir müssen jetzt neue Ideen entwickeln.“ Umweltministerin Roselyne Bachelot, die seit Tagen zwischen Paris und der Ölküste pendelt, hat am Wochenende 50 Millionen Euro Soforthilfe angekündigt. Und 200 Soldaten, die beim Strändereinigen helfen sollen.

Gestern sind die Ernte und der Verkauf von Muscheln aus der Bucht von Arcachon verboten worden. Ähnliche Entscheidungen der Gesundheitsbehörden werden auch für andere Zuchtorte erwartet. Die ersten Soldaten am Strand werden heute erwartet. Bislang sind vor allem örtliche Katastrophenhelfer und ein paar Gemeindearbeiter im Einsatz. In Ganzkörperschutzanzügen mit Gasmasken und Handschuhen sammeln sie Ölklümpchen ein. Angesicht der Ausdehnung von hunderten Kilometern von Stränden und der Flut, die ständig Nachschub bringt, nehmen sie sich einsam aus. Freiwillige Helfer haben keine Erlaubnis, mitzuhelfen – aus Sicherheitsgründen: Nach der „Erika“-Katastrophe im Dezember 1999 hatten noch tausende Menschen ohne jeden Körperschutz und mit bloßen Händen versucht, die Küsten zu reinigen.

Die Bewohner in Frankreichs Südwesten haben sich noch lange nicht von der „Erika“-Katastrophe erholt. Das Versinken und Auseinanderbersten des Öltankers, der hunderte von Küstenkilometern verseuchte, hatte nicht nur schlimme ökologische und wirtschaftliche Folgen, sondern hinterließ auch Entsetzen über die Politiker in Paris. Die grüne Umweltministerin Dominique Voynet beispielsweise, die Tage brauchte, bis sie ihren Urlaub abbrach, um an einen verseuchten Strand zu kommen, und die dort erklärte, es handelte sich „noch“ nicht um eine Öko-Katastrophe, hat ihren Ruf damals nachhaltig ruiniert.

Die rechte Regierung hat daraus die Lehre gezogen, nur ja nichts herunterzuspielen. Während viele Politiker vor Ort sich auch jetzt noch weigern, von einer „Ölpest“ zu sprechen, verlautet dieses Mal aus dem Munde einer Umweltministerin in Paris: Es wird alles noch schlimmer kommen. „Zweifellos“, sagte Bachelot, „wird die Verseuchung noch mehr Départements treffen.“