CHINAS RAUMFAHRTPROGRAMM DIENT VOR ALLEM DER IDENTITÄTSSTIFTUNG
: Dritter Platz im Himmel wie auf Erden

Das Nahziel ist der Mond, und zwar mit einer von Menschen bewohnten Kolonie vielleicht schon in fünfzehn bis zwanzig Jahren. Danach beginnen der Vorstoß in die Tiefen des Universums und die Eroberung der Sterne. Jedes Mal in den vergangenen Jahren, wenn China eine „Shenzhou“-Raumkapsel startete, begleiteten die Medien des Landes den Flug mit solchem Propagandagetöse, so auch während der jüngsten, offenbar erfolgreich abgeschlossenen Mission. Es klingt wie ein schlechter Abklatsch der sowjetischen und US-amerikanischen Raumfahrt-Euphorie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Noch dieses Jahr könnte China zur dritten Nation nach Russland und den USA werden, die selbstständig Menschen ins All und wieder zurück auf die Erde befördern kann.

Wie viel das Land sich den ersten Chinesen im All kosten lässt, ist Staatsgeheimnis, ebenso wie alle anderen Details des chinesischen Raumfahrtprogramms, das unter militärischer Leitung steht. Es dürften viele Milliarden Euro sein, während weltweit fast alle Raumfahrtagenturen drastisch sparen müssen und in China selbst über 250 Millionen Menschen Analphabeten sind und weitere hunderte Millionen in Armut leben.

Ob das chinesische bemannte Raumfahrtprogramm unter diesen Bedingungen sinnvoll ist, fragt sich die Staats- und Parteiführung dennoch nicht. Zusammenhalt nach innen, Stärke nach außen – vor dem eigenen Volk preisen die Politiker den Flug eines Taikonauten, wie die chinesischen Astronauten heißen, als „nationales Ideal“ an, das das Land aus eigener Kraft erreichen werde. China hört es nicht gern, dass die „Shenzhou“-Kapseln wohl auf russischer „Sojus“-Technologie basieren und russische Experten lange Zeit Nachhilfe geleistet haben.

Die militärische Botschaft lautet: Wer Menschen ins All schickt, kann auch Atomwaffen zielgenau an jeden Punkt der Erde befördern. Nötig wäre die Entwicklung einer eigenen bemannten Raumfahrt zwar nicht. Aber zur Identitätsstiftung in der heterogenen chinesischen Gesellschaft ist der politischen Führung kein Mittel zu teuer. KENO VERSECK