Bunker in Eden

Das Schauspiel Essen inszeniert Dirk Lauckes „Wir sind immer oben“: Sozialrealismus ohne Tristesse und mit der Schnoddrigkeit von Punk

Wenn du wissen willst, ob jemand taugt, schau dir seine Plattensammlung an! Bei Dirk Laucke, möchte man sagen, stimmt sie. Von den Goldenen Zitronen und DAF bis zu den Stooges, Beastie Boys und David Bowie reicht die Auswahl, die er als Soundtrack für sein neues Drama „Wir sind immer oben“ empfiehlt. Alles ein Stück weit ab vom üblichen britpoppigen Bühnen-Mainstream, und doch nicht privatistisch. Die Mischung macht es – auch in Lauckes Stücken: Seine milieuechten Krisenberichte aus der östlichen Provinz, die man ähnlich bei Fritz Kater oder Thomas Freyer findet, liefern mehr als den üblicherweise tristen Sozialrealismus. Weil sie Punk haben.

Trotz der berechtigten Klagen über Uraufführungsschwemmen, konfektionelle Auftragswerke und mickrige Autorenhonorare steht es gar nicht so schlecht um die Jungdramatik. Zumindest in der Spitze. Hier bürgen die Theater-heute-Nachwuchsautoren der letzten beiden Jahre für die derzeit tragfähigsten Projekte: Ewald Palmetshofer analysiert die bürgerliche Gesellschaft in dichten, hybriden Sprachgebilden, mit einer intellektuellen Schärfe, die sich am französischen Poststrukturalismus geschult hat. Laucke erneuert den Realismus von unten, aus Jugendclubbaracken heraus: „gibt dinge die kamma nich sagen weil sie wie scheiße kling wemma se ernst meint. in doitsch.“ Solche Sätze, schnoddrig und weise, schreibt derzeit nur Laucke.

In seinem Erstling „alter ford escort dunkelblau“ schickte der gebürtige Hallenser drei Zeitarbeiter auf einen ebenso sentimentalen wie steinigen Road Trip nach Legoland. Auch das neue Stück pflegt einen Aussteigertraum. „Wir sind immer oben“ handelt von der Männerfreundschaft zwischen Sven und Stamm, die in einer Gartenlaube am Stadtrand einen Plattenladen eröffnen wollen. „Fickt euch. Von Herzen“ lautet ihr Werbeslogan, sprich „fuck you!“, aber auch „make love!“ So klingt Punk „in doitsch“: angepisst und romantisch.

Es weht der Geist von Edgar Wibeau in diesen Laubensanierern, der Geist des Rückzugs wie in den „neuen Leiden des jungen W.“. Mit geklauter Musik aus dem Internet wollen Sven und Stamm ihren Laden bestücken. Und dieses Piratenprojekt beseelt ihre Umgebung. Svens Vater etwa, der die Familie verließ und mit seiner Drückerkolonne Bankrott ging. Oder seine Mutter, die schon morgens Mokka mit Schuss trinkt. Zum Subbotnik werden alle eingespannt, versöhnen sich die Eltern und ihr Sohn. Ein Happy End wird es trotzdem nicht.

Denn Sven hat in einem Diskostreit einen „fascho“ mit einem Pflasterstein getroffen und getötet. Wenn die Familie am Schluss einträchtig auf der Hollywoodschaukel sitzt, erwartet sie die Polizei – mit Molotowcocktails. „wir bunkern uns ein in eden“, lässt die Mutter wissen. Die einzige Person, die sich da aus dem Staub macht, ist Corinna. Mit ihr, der Zeitungsvolontärin, verschwindet die Stimme der Vernunft, die Theoretikerin. Ein bisschen „Kommunismus“ hatte sie sich von der Laubenidee versprochen, ein bisschen Liebe von Sven. Aber der „dreck“ war stärker, will heißen: Svens Bindung an seine desolaten Eltern, an seinen rüpelhaften Freund, an das utopistische Schildbürgerprojekt.

Es ist bedauerlich, dass selbst vielversprechende Uraufführungen selten von der ersten Riege eines Theaters besorgt werden. So auch in Lauckes Fall. Vom Schauspiel Essen, das mit jungen Regisseuren wie David Bösch, Roger Vontobel oder Nuran Calis für Furore sorgt, hätte man ein mutigeres Bekenntnis zur Gegenwartsdramatik erwartet. Doch unter der Regie von Henning Bock brachte ein Juniorensemble, teils mit Folkwang-Schauspielschülern besetzt, den Abend in einer guten Stunde eher unauffällig über die Bühne. Ein bisschen billig sind sie aufkostümiert vor einer breiten Anbauwand, die mit CD-Hüllen angefüllt ist, Intimitäten tauschen sie in der verschämten Art einer Bravo-Foto-Lovestory aus. Der Soundtrack hilft, wo es dem Spiel an Hingabe fehlt. In Osnabrück und Heidelberg stehen diese Saison noch Laucke-Uraufführungen an. Vielleicht ist eine Regie vom Schlage eines Nuran Calis dabei. Damit der Punkrock mal richtig schwitzt und der „dreck“ durchkommt. CHRISTIAN RAKOW

Weitere Vorstellungen am 19. und 22. September