Keine klaren Striche

Wie man sich nach nur einwöchiger Abwesenheit schon äußerst fremd in seiner eigenen Wohnung fühlen kann

Ich war weg. Eine Woche lang. Als ich wieder in Tegel lande, heißt mich der Busfahrer berlinerisch willkommen. Leider habe ich es noch nicht geschafft, meine Schlagfertigkeit zu reaktivieren, deshalb gebe ich ihm schweigend das Geld und suche mir einen Platz im hinteren Teil des Busses. Nach mehrmaligem Umsteigen komme ich endlich in Kreuzberg an. Am Görlitzer Bahnhof begießt ein Trunkener einen kleinen Baum mit seinem Mageninhalt.

Im Hof sitzt ein Hund, der Durchfall hat. Mit zitterndem Unterleib und fragendem Blick sieht er mich an. Ich werde zur Zeugin einer Schmach, deren Herkunft sich der Hund nicht erklären kann. Im dunklen Treppenhaus hallen meine Schritte. Aus dem zweiten Stock hört man laute Fernsehdialoge. Ich schließe die Wohnungstür auf. Dabei klirrt es leise, und dieses Geräusch ist falsch. Als ich meinen Rucksack in die Diele trage, sehe ich die Ursache für das Klirren: Ein abgebrochener, dünner Schlüssel liegt auf der Schwelle. Er muss zwischen Tür und Wand gesteckt haben. Ich entdecke Kratzspuren am Türrahmen, auf der Höhe des Schlosses. Man hat versucht, mein Schloss zu manipulieren, denke ich. Jemand wollte in meine Wohnung, während ich weg war.

Alles sieht so aus, wie ich es verlassen habe. Ich höre den Anrufbeantworter ab. Nicht viel drauf. Mein kurzer Begrüßungsspruch mit der Information über meine Abwesenheit war nicht einladend. Ich trinke eine Tasse Tee und sehe eine Weile an die Decke. Über mir scheint alles ruhig. Als die Tasse leer ist, rufe ich die Auskunft an, um die Nummer eines Mannes zu erfragen, den ich vor meiner Abreise kennen gelernt habe. Eine sympathische Stimme meldet sich. Ich werde ein bisschen umständlich und laut und schreibe die Nummer in mein Notizbuch. Ich bedanke mich herzlich, rufe zum Abschied „Tschü-hüüs!“ und lege auf. „Tschü-hüüs!“ höre ich es laut und deutlich als Echo aus der Wohnung über mir. Sogar meine Intonation wurde perfekt imitiert. Das ist sehr unhöflich. Und unheimlich. Ich werde ganz steif vor Schreck.

Im Kopf beginnen sich die Gedanken immer schneller zu drehen. Die höhnische Stimme von oben, die Kratzspuren, der dunkle Flur, der Hund, die Kotze, der Busfahrer. Ich werde mit jemandem sprechen müssen. Das Beste wäre es, auszuziehen. Einen klaren Strich zu ziehen unter alles. Vorerst jedoch telefoniere ich etwas leiser, und wenn ich schlafen möchte, schließe ich meine Tür von innen zu. ELINA KRITZOKAT