Sensation! Sensation! Elvis lebt!

Eine Enthüllungsbericht zum heutigen Geburtstag des King of Rock Egon Presl

Er müsste abnehmen oder eine andere Wohnung finden. Darüber spricht er nicht gern

Elvis lebt! Doch, das stimmt wirklich. Bei mir im Haus, Seitenflügel, vier Treppen links. In einer ganz normalen kleinen Altbauwohnung, rechts der Gang, links Küche, Bad, zwei Zimmer, winziger Balkon. Manchmal sehe ich ihn im Penny-Markt. Mit einem ganzen Wagen voller Süßigkeiten steht er in der Schlange an der Kasse, und wir grüßen uns flüchtig. Er ist noch genauso fett wie vor 25 Jahren. Die Tabletten und den Alkohol gab er ziemlich schnell auf, nachdem er von der Bildfläche verschwunden war. Aber von den Süßigkeiten kommt er nicht los.

War damals gar nicht so einfach, eine passende Leiche zu finden, aber mit Geld und Beziehungen: Ein Obdachloser, gleiches Alter, gleiche Blutgruppe, gleiches Gewicht. Alles, was Elvis von ihm wusste, war, dass er aus Montana stammte. Der Arzt und der Leichenbeschauer wurden fürstlich entlohnt, alle anderen erfuhren nichts. Als Erstes ging Elvis in die Schweiz, zur Entziehungskur, dann kam er nach Berlin, Frühjahr 1978. Er trat in den GI-Lokalen als Elvis-Imitator auf, und die Soldaten liebten ihn. „Man, you are the real Elvis“, sagten sie ihm immer wieder und spendierten ihm Drinks. Er hatte die ganze Zeit Angst, die Sache fliegt auf. Aber keiner hat etwas gemerkt, und trocken geblieben ist er auch. Nach dem Mauerfall gingen die Soldaten zurück nach Hause, aber er ist hier hängen geblieben. Warum, weiß er auch nicht genau, Altersbequemlichkeit vielleicht. Er schätzt die Anonymität, die ihm die Stadt gibt.

Er färbt sich die Haare, trägt eine Brille mit einem dicken, braunen Gestell und hat einen Hund. „Egon Presl“ steht an seinem Klingelschild, die Kinder im Haus nennen ihn „Mr. P“ und pfeifen ihm „Muss i denn zum Städele hinaus“ hinterher, wenn er den Hund ausführt. Dieser Hund ist ein Drecksvieh, eine entsetzliche Töle, kurzes, schwarzes Fell mit kahlen Stellen und halb blind. Keiner weiß, wie er an den geraten ist. Jeden zweiten Tag scheißt das Vieh vor die Haustür, aber keiner sagt was. Gehört ja dem King.

Einmal habe ich ihm die Einkaufstüten hochgetragen, zwei große Tüten mit Snickers, Hanuta, Ballisto, Kinder-Schokolade, Messino, Milka, Kaugummis, Sahnebonbons, Chocolate Chip Cookies, Eiskonfekt, Prinzenrollen – unglaublich. Oben hat der Hund in der Wohnung gebellt wie verrückt, aber Egon hat die Tür aufgesperrt und ihn angeschrien: „Shut up, you ain’t nothing but a Hound Dog!“, und ich durfte mit hinein. Die Wohnung war picobello aufgeräumt mit fast keinen Möbeln, aber auf dem Balkon stand ein Sonnenstuhl. In der Küche hing das Foto aus dem Sun-Records-Studio vom Dezember 1956 mit Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash. „Ich war sehr schlank damals“, sagte er gedehnt und lachte, als er sich mit der flachen Hand den Bauch tätschelte.

Das Foto und die Gitarre im Wohnzimmer sind die einzigen Dinge, die an sein früheres Leben erinnern. Keine goldenen Schallplatten hinter Plexiglas, keine aufregenden Kleidungsstücke. Meistens trägt er dunkelgraue Hosen mit Bügelfalte und eierschalenfarbene Hemden, alles sehr unscheinbar. Ein alleinstehender, älterer, amerikanischer Herr. Es wird die Zeit kommen, da wird er die vier Treppen nicht mehr alleine nach oben laufen können. Er müsste abnehmen oder eine andere Wohnung finden. Darüber spricht er nicht gern.

Manchmal spielt er Gitarre. Die schnellen Sachen kriegt er nicht mehr so hin wie früher, aber seine Stimme klingt noch wie auf den alten Platten. Vielleicht schluckt er rohe Eier, aber er hat gar keinen Kühlschrank, wenn ich mich richtig erinnere. Im Sommer spielt er ab und zu bei offenem Fenster. Dann stellen sich manche Nachbarn in den Hof und lauschen. Frau Wieczorek aus dem anderen Seitenflügel hängt ein Tuch über den Käfig ihres ständigen schreienden Vogels und geht auf den Balkon. Als sie jung war, war sie mit einem amerikanischen Soldaten verlobt, der später bei einem Manöverunfall ums Leben kam. Mit dem ist sie einmal auf ein Konzert gegangen. Sie hätte so wahnsinnig gern ein Autogramm. Aber Mr. P. gibt keine Autogramme. „Elvis ist tot“, sagt er.

RALF OBERNDÖRFER