Kleine Erfolge und große Debatten

Beim Europäischen Sozialforum in Malmö streitet die globalisierungskritische Bewegung über die Strategie: Soll sie mehr „handeln statt reden“? Oder braucht sie die Gegengipfel, um die Gruppen zusammenzuhalten? Auf jeden Fall ist sie friedlich

AUS MALMÖ ULRIKE HERRMANN

Bisher kam es zu keinen Krawallen beim Europäischen Sozialforum in Malmö. Das ist durchaus eine Nachricht, denn zumindest die schwedische Polizei hat sich umfassend auf mögliche Auseinandersetzungen vorbereitet. Landesweit wurden die Einsatzkräfte nach Malmö beordert. Sie haben der Stadt einen neuen Superlativ beschert: die größte Zahl von Polizisten in der Geschichte Südschwedens. Wie viele es genau sind, darüber schweigt sich die Einsatzleitung aus.

Noch immer hängt den Schweden das Trauma von Göteborg nach: 2001 gingen weit mehr als 20.000 Menschen auf die Straße, um gegen einen EU-Gipfel zu protestieren. Es kam zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizisten, mehrere Menschen wurden verletzt. Solche Bilder sollen nicht noch einmal um die Welt gehen, während sich die Globalisierungskritiker bis zum 21. September in Malmö treffen.

Diesmal verfolgt die schwedische Polizei eine Strategie der Deeskalation. Statt Hunde, Helme und Schlagstöcke mitzuführen, tragen die Beamten nun gelbe Westen mit großen Lettern „Dialog-Polizei“.

Zu einem Mini-Einsatz ist es auch schon gekommen: Am Donnerstagmorgen versammelten sich rund 200 Globalisierungskritiker vor der Ausländerbehörde in Malmö, um die Eingänge zu blockieren. Motto: „Ein Tag ohne Abschiebungen.“ Einen gewissen Erfolg gab es auch: Denn viele Behördenangestellte drehten wieder um und verbrachten ihren Arbeitstag zu Hause. Die Polizei sah dabei vor allem zu.

Ansonsten kursiert das etwas abwegige Gerücht, dass es Anschläge auf Apotheken geben soll, weil sie so „sexistisch“ seien, Binden und Tampons für Frauen zu verkaufen. Zumindest der Apothekenverband war erschreckt genug, um seine Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken – und stolz die Lokalmedien zu informieren.

Bisher dürften rund 8.000 Globalisierungskritiker nach Malmö gereist sein, zur Abschlusskundgebung am Samstag werden 20.000 Demonstranten erwartet. Diese Zahlen sind nicht unbedingt enttäuschend – auch beim Sozialform in Athen 2006 versammelten sich nur rund 15.000 Aktivisten. Doch reicht man nicht mehr an das legendäre erste europäische Sozialforum in Florenz 2002 heran: Damals wurde ein globaler Aktionstag gegen den Irakkrieg vereinbart, der weltweit rund 10 Millionen Menschen mobilisierte.

In Malmö flammt daher immer wieder die Diskussion auf, wie man mit der schwindenden Kraft der sozialen Bewegungen umgehen soll. Die indische Physikerin und Umweltaktivistin Vandana Shiva unterbreitete den bisher radikalsten Vorschlag: Ihr würde es reichen, wenn die weltweiten Sozialforen nur noch alle zehn Jahre stattfänden und die europäischen Foren alle fünf. „Man darf die eigenen Energien nicht verschwenden“, forderte die Trägerin des alternativen Nobelpreises. Statt aufwändig internationale Treffen zu organisieren, sollten die Globalisierungskritiker lieber lokal handeln: „Es verschlingt bereits eine Menge Zeit, wenn man den Biolandbau in Indien voranbringen will.“

Handeln statt reden – diese Botschaft ist nicht unumstritten. Viele Globalisierungskritiker setzen weiterhin auf die Macht der Diskussion. So schlug Attac Belgien in Malmö ein zusätzliches internationales Treffen vor: Man solle doch einen Gegengipfel veranstalten, wenn sich die EU-Regierungschefs im Frühjahr 2009 in Brüssel versammeln, um die neoliberale Lissabon-Strategie fortzuentwickeln. Allerdings weiß auch Attac Belgien um die eigene Schwäche und plant daher keine Kundgebung: „Wir haben nicht mehr die Kraft, eine Bewegung zu organisieren.“ Kurze Pause. „Das können die Gewerkschaften besser.“