Menschen im Bett

Let’s talk about sex: In „Visiting Desire“ der Musikerin und Regisseurin Beth B. werden sexuelle Fantasien visualisiert

Das waren noch Zeiten, als man eine Kamera auf ein paar Menschen richten und damit schon den Anschein authentischen Glamours erzielen konnte. Im Jahr 1996 hat die aus New Yorker New- und No-Wave-Zusammenhängen bekannte Regisseurin/Musikerin Beth B. (für Billingsly) den Versuch gemacht, die einfache Versuchsanordnung von Warhol-Filmen noch einmal aufzugreifen. Sie richtete eine statische Kamera auf eine Zimmerecke und ein Bett, auf dem einige Menschen paarweise zusammentreffen – mit Konzept, aber ohne Drehbuch.

Das Konzept: Eine Person sitzt da und erwartet eine andere. Dann wird (über Sex) geredet, eine (sexuelle) Fantasie „ausgelebt“ oder auch blockiert. In der Sprachregelung dieses Films besucht das eine „desire“ das andere und richtet an das Gegenüber eine Frage, die am Anfang des Films auch an zufällige Passanten auf der Straße weitergegeben wird: Wie sehen meine sexuellen Wünsche aus und wie erfülle ich sie mit einem, der womöglich andere Bedürfnisse hat?

Eine Frau trifft auf einen Mann. Sie behauptet: „Ich habe es gern, wenn ein Junge ein Mädchen spielt.“ Der junge Mann zieht sich also eine Perücke über den Kopf und spielt das Girltoy, weitere Requisiten sorgen aber für noch mehr Spaß. Frauen spielen lesbisch, aber das wirkt so, als wollten sich die Haltungen der Achtzigerjahre noch einmal in Szene setzen. Damals waren Sex und Sexualität noch ein Feld, das Einzelne mit ihren Vorstellungen von Tabu und Übertritt beackerten: Leute wie Kembra Pfahler waren aus dem New Yorker Kulturleben nicht wegzudenken oder Lydia Lunch, die eine frühe Affinität zu harter, schwarzer Explizitheit bewies.

Ohne Zweifel hat Lunch seitdem viel gesehen. In „Visiting Desire“ zeigt sie, dass diese Zitrone noch viel Saft hat. „Pussy spanking“? Find ich gut! In einer weiteren Szene trifft sie auf einen älteren großen Mann, der sich freundlich, aufgegeilt und in großer Ruhe auf das üppige Pornoangebot der ja nun auch nicht mehr ganz jungen Lydia Lunch einlassen möchte. Lunch bringt ihn zwar dazu, die Hose zu öffnen und seinen erregten Schwanz herauszuholen, lässt ihn dann aber poserhaft abblitzen, indem sie zur Kamera hin nach Übereinstimmung mit dem Publikum sucht. Das ist für diesen Film nicht untypisch, der die Selbstdarstellung sexueller „attitudes“ zulässt, wo liebevolle Gesten, überraschende Übereinstimmungen oder Distanzierungen und vielleicht noch mehr Erektionen angebracht gewesen wären. Die Tendenz zur Veralberung und sexueller Komik ist aber nicht ungebrochen: Ausreißer finden vor allem da statt, wo die Mitwirkenden nicht davon ausgingen, besonders begehrenswert, witzig oder cool zu sein. Eine Transsexuelle vor allem gibt dem Film einen gewissen Ernst. Sie ist die einzige Person, die auf ihr Gegenüber tatsächlich reagiert und in einem Fall ganz körperlich einen Wunsch nach Zärtlichkeit zeigt, während sie im anderen die Forciertheit eines männlichen Gegenübers durch eindrucksvolle Distanzierungen zurückweist.

MANFRED HERMES

„Visting Desire“. Regie: Beth B. Mit Lydia Lunch, Chloe Dzubilio, Ned Aambler, Cyrus Khambatta. USA 1996, 70 Minuten. Termine siehe Programm