Ein naiver Utopist?

Eine Werkschau Otto Pienes, Mitbegründer der Gruppe Zero, zeigt das Dortmunder Museum am Ostwall. Seine Kunst hat Erlebnischarakter. Mit der Sky Art wollte er neue Räume erschließen und eine Technik des Friedens in den Himmel wachsen lassen. Später war er auch für das MIT in den USA tätig

VON MARKUS WECKESSER

Verglichen mit der pompösen Abschlussfeier der Olympischen Spiele in Peking nahm sich die Beendigung der Sommerspiele 1972 in München eher bescheiden aus. Statt der gigantomanischen Inszenierung von Menschen und Elementen blieben die gedämpfte Stimmung und der künstliche Regenbogen von Otto Piene in Erinnerung. Das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft hatte die heiteren Spiele in ihr Gegenteil verkehrt. Angesichts der gewalttätigen Ereignisse wirkte Otto Pienes farbige Luftplastik umso nachhaltiger. Das universelle Regenbogen-Symbol verhieß an diesem 11. September Frieden und Hoffnung, Trost und Zuversicht. Bereits 1961 bekannte der Künstler: „Ja, ich träume von einer besseren Welt.“

Vor dem Münchener Olympiastadion hatte er fünf 450 Meter lange Polyäthylenschläuche mit Helium gefüllt, zu einem riesigen Halbkreis gespannt und mit Schweinwerfern beleuchtet. Dank der weltweiten Fernsehübertragung erreichte Piene erstmals ein Massenpublikum. Dafür nahm er den Eventcharakter und den Vorwurf einer naiv-utopistischen Haltung gerne in Kauf. Eine Filmdokumentation vermittelt, wie viel körperlicher Anstrengung und Helfer es bedurfte, um das so leicht anmutende Sinnbild zu realisieren. Zu sehen ist der Film derzeit im Dortmunder Museum am Ostwall. Anlässlich der diesjährigen Preisverleihung der Kulturstiftung Dortmund an Otto Piene widmet das Haus dem Preisträger eine kompakte Übersichtsschau.

Im Lichthof wird der Besucher von einem Brummen wie von Staubsaugern begrüßt. Im flackernden Stroboskoplicht werden im Minutentakt sechs stachelige Blumenskulpturen aus schwarzer Seide aufgeblasen. Langsam füllt sich der Körper mit Luft und richtet sich auf. Die Pracht hält nur wenige Sekunden an. Dann entweicht die Luft wieder und die „Fleurs du Mal“ (Blumen des Bösen) neigen ihre Köpfe und sacken halb zusammen. Die sogenannten Inflatables sind Vorgänger von Pienes Sky Art. Unter diesem Label entstehen seit Ende der 60-er Jahre aufblasbare Skulpturen in Form von Schläuchen, Blumen, Sternen und mythologischen Figuren, die an Seilen in den Himmel aufsteigen.

Mit der Sky Art sollten neue Räume erschlossen und die Technik am Himmel zu einem friedlichen Zweck eingesetzt werden. Anders als im Krieg, als der sechszehnjährige Flakhelfer den Himmel „brennen“ sah. Kurz vor Kriegsende erlebt Piene an der Elbe das Gegenteil, die „in aller Fülle des Lichts gleißende silbrig-weiße Weite des Wassers unter einem endlosen Himmel“. In der überwältigenden Erfahrung der Naturelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde liegt seine Affinität zu den in seinem Werk wiederkehrenden Motiven und künstlerischen Techniken begründet.

Als Matrix seiner frühen Arbeiten diente Piene das Lochraster. Durch eine Schablone mit Reihen ausgestanzter Löcher drückte er Ölfarbe auf die Leinwand, sodass sich Muster mit runden Erhebungen bildeten. Das Rasterprinzip wendete er ebenfalls bei den Rauchbildern auf Papier an, wobei der Künstler den Rauch einer Kerze durch die Schablone schickte. Eine weitere Maltechnik entwickelte er für die Feuerbilder- und gouachen, die durch Anbrennen von Farbe bei gleichzeitigem Drehen von Leinwand oder Karton entstanden. Mitunter senkte das Feuer Löcher in den Malgrund, während die verlaufene Farbe krisplig verformte und Flammenspuren den Untergrund mit rußigen Schatten überzogen.

Geboren wurde Otto Piene 1928 im westfälischen Laasphe. Nach dem Studium von Kunst und Philosophie gründete er 1957 in Düsseldorf mit Heinz Mack die Gruppe Zero. Die jungen Künstler, zu denen wenig später Günther Uecker stieß, beschäftigten sich intensiv mit Kinetik und Lichtkunst. Pienes Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen fand Form in Performances wie „deutschlanddeutschland“ (1967). Im Zusammenspiel von Lichtskulpturen, Inflatables und Laiendarstellern kommentierte er Entnazifizierung, Klimawandel und Wirtschaftswunder.

Den Erlebnischarakter von Pienes Werken machen in der Dortmunder Ausstellung drei Räume erfahrbar, die seinen Lichtarbeiten gewidmet sind. Im ersten Kabinett sind Objekte versammelt, die inzwischen als Designerlampen durchgehen könnten. Sie sind so geschaltet, dass sich dem Betrachter ein Wechselspiel von roten und weißen Kreisen, orangefarbenen Punkten und sanftem Hell und Dunkel bietet. In einem anderen Kabinett werfen gerasterte Kuben, die im Inneren mit rotierenden Halogenlampen ausgestattet sind, ein Lichtballett an Decke und Wände. Lichtschlangen, -wirbel, -kreise und -punkte tanzen durch den Raum, als habe der Schöpfer bei gedrückter Vorlauftaste einen Blick in das Weltall erlaubt. Eine Reise in den Mikrokosmos suggeriert hingegen eine Dia-Installation, die Formen von Zellen, Fasern, Blutkörperchen, Nano-Quallen und Bakterien projeziert.

Beinahe nur fotografisch dokumentiert ist Pienes Tätigkeit am CAVS (Center for Advanced Visual Studies), einem Institut des MIT (Massachusetts Institute of Technology). Nach einer Zeit als Fellow wurde der inzwischen in die USA Übergesiedelte 1974 zu dessen Direktor berufen. Was heute im Bereich der neuen Medien Deutschland unterrichtet werde, basiere, so Piene, auf der Vorarbeit am CAVS. Neben der interdisziplinären und multimedialen Ausrichtung kennzeichnet die Arbeit das ausgeprägt ökologische Bewusstsein. Der Traum von einer besseren Welt ist für Otto Piene noch lange nicht ausgeträumt.

Bis 25. Januar 2009, Museum am Ostwall, Dortmund. Katalog 25 €