Der Albtraum der Filmindustrie

Freispruch für den norwegischen Programmierer Jon Lech Johansen: DVDs dürfen privat geknackt und kopiert werden

Wenige Zeilen genügten ihm, um zu Berühmtheit zu gelangen. Denn das Programm DeCSS, das der damals 15-jährige Norweger Jon Lech Johansen vor vier Jahren an seinem Computer schrieb, knackt den Kopierschutz auf Film-DVDs. Dass Johansen dieses Wissen nicht für sich behielt, sondern „aus Erfinderstolz“ ins Internet stellte, trug ihm den Respekt der gesamten Computerszene, aber auch ein langwieriges Rechtsverfahren ein – das er jetzt gewonnen hat.

Den Musterprozess vor einem Osloer Gericht hatte Motion Picture Association of America (MPA) angestrengt. Die Branchenorganisation der US-Filmindustrie vertritt Giganten wie Walt Disney, Sony, MGM, Paramount, Warner Bros, 20th Century Fox und Universal. Diese hatten befürchtet, DeCSS könne den Filmproduzenten ein ähnliches Schicksal bescheren wie CD-Raubkopien der Musikindustrie. Die Richter ließen sich jedoch nicht davon überzeugen, dass die Entwicklung des Programms illegal war. Sie sprachen Johansen in allen Punkten frei.

Sie stellten klar, dass die Umgehung des Kopier- und Länderschutzcodes von DVD-Scheiben durch Computerprogramme nicht ungesetzlich ist. Wenn man DVDs gekauft habe, dürfe man sich auch Kopien herstellen und sie abspielen, begründeten sie. Mit welcher Software, das spiele dabei keine Rolle. Illegal sei allenfalls die Weiterverbreitung gebrannter Scheiben. Doch die war dem Norweger gar nicht vorgeworfen worden.

Für MPA ist das eine herbe Niederlage. Wenn man den Kopierschutz ausschalten kann, lässt sich der Versuch der Filmindustrie unterlaufen, die Erde in verschiedene DVD-Zonen einzuteilen, in denen jeweils nicht kompatible Produkte zu weit unterschiedlichen Preisen verkauft werden. In Asien billig gekaufte Scheiben sollten nämlich eigentlich in Europa oder den USA nicht abzuspielen sein. Das Programm von „DVD-Jon“, wie Johansen in Norwegen nur noch heißt, erlaubt das Heimbrennen aller DVD-Scheiben, die dann auch unabhängig von Ländercodes ins Laufen gebracht werden können. Und es ermöglicht das Abspielen über Linux.

Johansen hatte das Programm nach nächtelangen Versuchen im Freundeskreis entwickelt, weil er DVD-Filme auf seinem Computer abspielen wollte, es aber keine Player-Emulation für sein Linux-System gab. Gegen den Vorwurf, gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen zu haben, hatte er stets argumentiert, DeCSS sei „nichts anderes als Verbraucherschutz“. Es gehe nicht um ungesetzliches Kopieren, sondern um eine Abwägung zwischen Konsumenteninteresse und den wirtschaftlichen Interessen der Filmbranche. Die Filmwirtschaft wolle sich das gesamte Marktsegment von den DVD-Scheiben bis zu den Abspielgeräten unter den Nagel reißen. Er habe nur die Möglichkeit geschaffen, DVD-Filme ohne Kontrolle der Filmindustrie abzuspielen.

Drei Jahre lang lebte Jon, der sich mittlerweile zum Programmierer ausgebildet hat, damit, dass ihm eine Haftstrafe von zwei Jahren und eine Verurteilung zu empfindlichen Schadenersatzzahlungen drohte. Eine weltweite Solidaritätsbewegung unterstützte ihn. Nun sieht er sich als David im Kampf gegen die Film-Goliaths voll und ganz bestätigt: „Ich bin glücklich, aber nicht überrascht“, sagte er nach der Urteilsverkündung. REINHARD WOLFF