Wunderbare Unbekannte

Antonio Skármeta erhielt den Bremer Hansepreis für Völkerverständigung vom wundersamen Verein „Freizeit 2000“ – was der poetische und politische Botschafter Chiles dabei erlebte

Herr Schily verlegt den „Regierungswechsel“ in Chile nach 1975

Als Antonio Skármeta im März 2002 in Weimar am Pult stand und sich beim gesamtdeutschen Restbildungsbürgertum artig für die Goethe-Medaille bedankte, verwunderte er sich darüber, dass ausgerechnet er dort stehe. Wo doch alle wüssten, dass „die spanische Sprache wegen ihrer Grammatik und ihres Temperamentes das genaue Gegenteil der deutschen Sprachwelt“ sei. Immerhin Goethe.

In den 80ern, jener Zeit seines Exils nach dem Putsch Pinochets 1973, die Skármeta in Berlin verbrachte, hat er sogar in der Goethestraße gewohnt. Und in seiner Schulzeit bescherte er, 1940 in Antofagasta im Norden Chiles geboren, seinen Lehrern schlaflose Nächte, weil er „mit jugendlicher Pedanterie“ Mephistophelisches auswendig gelernt hatte. Deutsch, für Skármeta eine „wunderbare Unbekannte“.

Nun sitzt er im Bremer Ratskeller. Bürgermeister Hartmut Perschau (CDU) links, Innenminister Otto Schily (SPD) rechts neben sich. Der „Bremer Hansepreis“ des wundersamen Vereins „Freizeit 2000“, der auch schon Loriot oder Siegfried Lenz nach Bremen geholt hat, wird heute zum dritten Mal verliehen – und trägt das Wort Völkerverständigung im Untertitel. Die Völker mit ihrer ganzen Unterschiedlichkeit werden so oft in den Mund genommen an diesem Sonntagvormittag, dass man den Eindruck haben kann, damit habe es etwas ganz besonderes auf sich. Völker erscheinen als unverrückbare, vollkommen statische Entitäten. Total homogen. So total, dass Herr Schily den CIA-induzierten „Regierungswechsel“ in Chile kurzerhand nach 1975 verlegt. Kann er ja nicht wissen, er ist ja Deutscher.

Da muss also Völkerverständigung her, damit man die richtigen Jahreszahlen auch drauf hat. Skármeta sitzt da und muss sich auch noch anhören, wie an diesem Ort, im Ratskeller, nicht nur Literatur- (Heine, Hauff usw.), sondern auch Politikgeschichte geschrieben wurde. Wenn Perschau erzählt, wie Bremer Kaufleute weiland beim Schoppen Handelsbeziehungen dealten, klingt das so, als wär’s damals um ein humanistisches Projekt gegangen. Und nicht um Geld, dass zu verdienen war.

Aber Antonio Skármeta ist nicht nur einer der wichtigsten chilenischen Schriftsteller nach Neruda und bekleidet mit dem Botschafteramt in Berlin einen wichtigen Posten der relativ jungen südamerikanischen Demokratie. Er ist auch ein höflicher, ruhiger Zeitgenosse. So erträgt er auch, wie Laudator Ulf Fiedler, seines Zeichens Bremischer Autor und Journalist, mit einer „Metapher aus mythischer Ferne“ startet.

Sprache sei wichtig, das habe man gemerkt, als im biblischen Babel versucht wurde, „aus dunkler Erdenschwere den Himmel zu erreichen“. Auch er reiht sich ein in den Reigen der Beschwörungen der „Fremdheit der Kulturen“. Das ist derzeit, nach der Abkehr vom „bornierten Nationalismus“ (Schily), allzu en vogue.

Skármeta selbst verfolgt ein etwas anders gelagertes, humanistisches Programm. Auch erscheint er eleganter. Der engagierten Literatur eines Sartre oder auch eines Neruda verpflichtet, ist er Kosmopolit.

Angenehm seine Kritik an Homogenisierungstendenzen im Globalisierungsprozess, die auf kulturalistische Rhetorik verzichtet. Angenehm der Seitenhieb auf die so genannte Einwanderungsdebatte, die er als Beispiel dafür nimmt, dass Menschen nur ihrer eigenen Heterogenität eingedenk mit anderen sinn- und friedvoll kommunizieren könnten. Angenehm schließlich die leichte Ironie, mit der er nicht nur sein politisches, sondern auch sein poetisches Dasein reflektiert.

Tim Schomacker