Eine Wahl des kleinsten Übels

Das tschechische Parlament tritt heute an, um einen neuen Staatspräsidenten zu küren. Aus der ersten Runde dürfte noch niemand als Sieger hervorgehen. Gute Chancen auf das höchste Amt hat der Exdissident und Senatspräsident Petr Pithart

aus Prag ULRIKE BRAUN

Eine Ära geht zu Ende: Nach über 13 Jahren heißt es für Tschechiens Dichterpräsidenten Václav Havel Abschied nehmen. Abschied vom höchstem Amt des Landes, das der 66-Jährige über 13 Jahre lang bekleidet hat. Mag Havel sich auch in Zukunft in seiner Villa in Portugal seinen Memoiren oder in Prag der Wohlfahrt widmen und noch auf den Friedensnobelpreis hoffen – der Mythos Havel, der über Nacht vom knastgeschändeten Dissidenten zum verehrten Haupt seines Landes geworden war, als postkommunistisches Gegenstück der alten Vom-Tellerwäscher-zum Millionär-Legende, ist schon jetzt in die europäische Geschichte eingegangen.

Umso schwerer wird es sein Nachfolger haben, zu dessen Wahl das tschechische Parlament heute antritt. Die Devise, unter der die Präsidentschaftswahlen laufen, ist klar: Einen zweiten Havel wird es nicht geben, sagen sich die Tschechen. Deshalb wird auch schon seit Monaten eifrig diskutiert – nicht, wer das beste Staatsoberhaupt sein könnte, sondern welcher der Kandidaten das kleinste Übel sei.

Zur Auswahl stehen vier: Jaroslav Bureš, Ex-Justizminister, der in der Wahlkampagne vor allem dadurch in die Schlagzeilen geriet, dass er mal einen Passanten umgefahren hat. Vorwerfen kann man ihm das nicht mehr, jedoch, dass er diese Tatsache zu Beginn seiner Kandidatur verschwiegen hat. Das qualifiziert ihn nicht gerade für die Nachfolge eines Mannes, den der englische Historiker Timothy Garton Ash als das „moralische Gewissen Europas“ bezeichnet hatte.

Noch weniger Chancen hat der Kandidat der Kommunisten, Miroslav Kříženecký. Aufmerksamen ist der exkommunistische Prokurator bei der Kampagne dadurch aufgefallen, dass sein Haarschnitt und seine Kleidung genauso wie seine Ideologie aus der grauen Normalisierungszeit der 70er-Jahre stammen.

Da hat ein anderer Chefideologe, Expremier und thatcheristischer Vorkämpfer eines Kapitalismus ohne Attribute, Herr Professor Václav Klaus, schon bessere Chancen. Gefährlich werden könnte ihm Senatspräsident Petr Pithart. Der wird von der tschechischen Profi-Politclique zwar gern als Mann ohne Prinzipien verdammt. Andererseits betrachten viele den Exdissidenten als besagtes kleinstes Übel. Als ein Intellektueller, der – weil frei von parteipolitischen Interessen – am ehesten das Volk als ganzes repräsentieren könnte und noch als Unterzeichner der Charta 77 geadelt ist.

Eines ist schon vor den Wahlen klar: Es wird geklüngelt. Die regierenden Sozialdemokraten sollen ihrem Kandidaten, Jaroslav Bureš, schon zugunsten des Christdemokraten Pithart den Rücken gekehrt haben. Liegt es doch im Interesse der Sozialdemokraten wie auch ihres christdemokratischen Partners in der Regierung, die Wahlen so schnell wie möglich abzuschließen. Die Verfassung sieht zwei Wahlrunden zu je drei Wahlgängen vor. Sollten sich die Volksvertreter auf keinen Kandidaten einigen, ist die Bahn frei für eine Verfassungsänderung, die dem Volk die alles entscheidende Stimme übergeben könnte.

Umfragen zufolge würde eine direkte Wahl zugunsten von Václav Klaus ausgehen. Allerdings geht in der neuen sozialdemokratischen Riege um Premier Vladimír Špidla nicht nur die Angst vor Václav Klaus um. Im Falle einer zweiten Wahlrunde hat Expremier Miloš Zeman angekündigt, als Retter der Nation zu kandidieren. Ein Duell Klaus – Zeman würde man in Tschechien lieber vermeiden – beide werden als zu politisch für eine staatsväterliche Funktion angesehen. Genau das kann heute zu Pitharts Vorteil werden.