Multiple Persönlichkeiten

Inszenierungsfrust und Bildermacht: Eine Literatur-und-Verkaufen-Diskussion im LCB

Wenn ich vorlese oder für Hugendubel posiere, bin ich keine Schriftstellerin mehr

War es Zufall? Oder hatte die Runde schon vorab geklärt, dass sich an diesem Abend tatsächlich zwei Parteien gegenübersitzen würden, um eine Art Streitgespräch zu führen? Es passte jedenfalls gut, dass am Dienstagabend im voll besetzten Literarischen Colloquium am Wannsee, da es in die dritte Runde der Reihe „Literatur? Verkaufen!“ ging, die AutorInnen Karen Duve und Christoph Peters rechts von Moderator Jörg Döring saßen, und die Literaturkritiker Helmut Böttiger und Hubert Winkels auf dessen linker Seite.

Die einen, Duve und Peters, erstmals halbwegs bekannt geworden durch ihre Romane „Regenroman“ (Duve) und „Stadt Land Fluß“ (Peters), wehrten sich dagegen, auch noch ihr Schreiben im stillen Kämmerlein als Teil des geschäftigen Literaturbetriebes zu begreifen und dieses möglicherweise sogar nach den Maßgaben der Vermarktung zu betreiben. Ja, sie gingen sogar wie Karen Duve so weit, sich in multiple Persönlichkeiten aufzuspalten: die Künstlerin, die Vorleserin, die Verkäuferin. Sozusagen: Wenn ich vorlese oder mich für Hugendubel ablichten lasse, bin ich nicht mehr die Schriftstellerin Karen Duve. So weit, so naiv. Und so überraschend, weil Duve zugab, das Schreiben einst begonnen zu haben, „um tolle Bilder in die Welt zu setzen und Erfolg zu haben“.

Und die beiden anderen, die Literaturredakteure vom Tagesspiegel (Böttiger) und vom Deutschschlandfunk (Winkels), übten sich immer wieder in der Kunst der verbalen Umarmung, ganz nach dem Motto: Wir sitzen doch alle im selben Boot, wir ziehen doch alle an einem Strang. Kumpels wie wir halt. Hubert Winkels sagte sehr schön und richtig, dass der „performative Raum“ für Literatur viel größer geworden sei. Auch die Literaturchefin der Zeit mache eben eine TV-Sendung, um ihre schwindende Definitionsmacht zu erhalten und in einem größeren Rahmen wahrgenommen zu werden. Winkels sprach natürlich viel von den Problemen der Kritik, dem allmählichen Verschwinden der langen, essayhaften Zeitungskritik und der Einflusszunahme des Fernsehens oder von Brigitte-Kurzkritiken. Doch er hatte immer die Autoren im Blick: Einer wie Bodo Kirchhoff bettele mit seinem „Schundroman“ geradezu darum, in einen großen Walser’schen Erregungszusammenhang eingespeist zu werden. Der wolle eben auch mal zwei Millionen Bücher verkaufen.

Noch überzeugender aber war Helmut Böttiger als Verfechter des allumfassenden Literaturbetriebs: Heutzutage würde doch jeder Kritiker die von ihm zu kritisierenden Autoren von irgendwelchen Podien oder Werkstattgesprächen her kennen!

Da fragt man sich, in was für einer Welt Helmut Böttiger lebt – da hätte aber ein jeder Kritiker ordentlich zu tun. Echte Tausendsassas wären das. Und da erinnert man sich daran, wie gerade auf den Buchmessen die Autoren, so sie keine Superstars sind, sich meist verlieren und als merkwürdig irrlichternde Außenseiter in den Hallen und auf den Partys herumstehen.

Selbstverständlich war man sich an diesem Abend auch einig: über den zunehmenden Druck der Autoren, sich zu personalisieren, Popstars zu werden, Bücher kommunzieren zu müssen etc. Über die Macht der Bilder. Oder die Unmöglichkeit, im Fernsehen über Literatur reden zu können. Und trotzdem bestanden Duve und Peters darauf, Grenzen zu ziehen, so wie Duve mit ihrem interessanten Persönlichkeitsmodell. Oder so einsichtig wie Peters, der vorrechnete, wie viel Leser er im deutschsprachigen Raum maximal erreichen könne (500.000 von 110 Millionen!) und sich deshalb sowieso nicht als Pappkamerad in einer riesigen Unterhaltungsindustrie fühle. Wer sich für seine Bücher interessiert, interessiert sich auch ohne Werbe-Trallala, sollte diese Rechnung wohl bedeuten. Allerdings ändert das nichts daran, dass der Autor, der nur schreibt und sich sonst total verweigert, eine Seltenheit bleiben wird. Das kann nur Thomas Pynchon. GERRIT BARTELS