Eine belastete Karriere

Sachlichkeit, Abstraktion, formaler Purismus: Das Deutsche Technik Museum ehrt den Reichsbahnarchitekten Richard Brademann mit einer Ausstellung

von CHRISTIAN SAEHRENDT

Mit dem Lückenschluss der Ringbahn endete im Sommer 2002 die Agonie der Berliner S-Bahn, deren verfallene Bahnhöfe und Geisterzüge zum eigenartigen Erscheinungsbild Westberlins beitrugen. Durch die Teilung war dort ein gekapptes Inselnetz entstanden, betrieben von der DDR-Reichsbahn, boykottiert und bestreikt, bis die Betriebsrechte 1984 von der BVG erworben wurden. Mit einer Ausstellung über den Reichsbahnarchitekten Richard Brademann (1884–1965) erinnert das Deutsche Technik Museum an die Glanzzeit der S-Bahn in der späten Weimarer Republik und der NS-Zeit.

Im Dezember 1930 entstand mit dem Zusammenschluss und der einheitlichen Elektrisierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen die Stadtschnellbahn, kurz S-Bahn, eines der leistungsfähigsten und modernsten Nahverkehrssysteme seiner Zeit. Fast alle neuen Empfangshallen, Stromversorgungsbauten, Stellwerkgebäude und Wagenschuppen wurden von Richard Brademann entworfen. Seine einheitlichen Backsteinbauten trugen neben dem weißen S auf grünem Grund zur Corporate Identity des neuen Großbetriebes bei.

Brademann gilt als vergessener Architekt namenloser technischer Bauten, der zudem politisch erheblich belastet war. Eine Würdigung seiner Leistung kommt nicht ohne die Erkenntnis aus, dass Brademann zur technischen Intelligenz gehörte, die dem NS-Regime und seiner Hauptstadtplanung loyal diente. Darüber hinaus galt der Regierungsbaumeister und Weltkriegsteilnehmer als „Alter Kämpfer“, der bereits 1931 in die NSDAP eingetreten war. Im April verfasste er eine Denunziationsschrift an den Chef der Reichskanzlei, in der er Angehörige der Reichsbahn-Hauptverwaltung und der Direktionen als Juden, Marxisten und Demokraten beschimpfte und Säuberungen anmahnte. Als ab 1933 im Rahmen des Hauptstadtausbaus die unterirdische Nord-Süd-Linie gebaut wird, qualifiziert sich Brademann durch die Gestaltung u. a. der Bahnhöfe Humboldthain, Unter den Linden und Potsdamer Platz zum Reichsbahn-Verbindungsbeamten zum NS-Amt „Schönheit der Arbeit“. Im August 1945 entlassen, bleibt Brademann nicht die Schmach erspart, sich beim politischen Gegner verdingen zu müssen. Aus wirtschaftlicher Not nimmt er ein Stellenangebot der jugoslawischen Militärmission an, am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. Schließlich kehrt er, nunmehr rehabilitiert, 1949 nach Berlin zurück.

Die Würdigung von lange unbeachteten Industrie-, Verkehrs- und Elektrizitätsbauten hat der Architekturgeschichte in den letzten Jahren ein neues Forschungsfeld eröffnet. Langsam wächst das Bewusstsein für die ästhetische Qualität vieler Umform- und Schaltwerke.

Brademann baute insgesamt 43 Stromversorgungsbauten. Die eindrucksvolle Gesamtanlage des Schalt- und Gleichrichterwerkes Halensee aus dem Jahr 1928 besteht aus zwei langen, parallelen Gebäuderiegeln dem Schalthaus und dem Gleichrichterhaus, die durch einen achteckigen Baukörper, die Schaltwarte, verbunden sind. Die Warte ist innerhalb des achteckigen Gesamtgrundrisses in Form einer Ellipse angelegt, die Schalttafeln für die Fernsteuerung bilden die Raumbegrenzung, ein langes Schaltpult für örtliche Funktionen beherrscht die Raummitte, ein Glasdach sorgt für Tageslicht. Ingesamt entsteht ein Eindruck von Ruhe und Übersichtlichkeit, eine fast kontemplative Konzentration auf die technischen Funktionen, die fast sakralen Charakter annimmt. Dagegen zeigt die Gleisansicht des Gleichrichterhauses eine bewegte, fast expressionistische Fassade. Die auskragenden Transformatorzellen werden von dreieckigen Lüftungsschächten überhöht, die die Fassade pfeilerartig gliedern und neben den Spitzbogen-Blendarkaden im Erdgeschoss ein gotisches Formelement einbringen.

Gelungene Lösungen fand Brademann auch bei den neu zu errichtenden Empfangsgebäuden der Wannseebahn, wie etwa den Bahnhöfen Wannsee oder Feuerbachstraße, und am Bahnhof Westkreuz. Ein betonter Eingangsbereich mit Oberlichtaufsatz, die Verwendung von rotbunten Klinkerverkleidungen und Anleihen expressionistischer Formen heben die Bauten im Stadtbild hervor. Um die kreisrunde Schalterhalle des Bahnhofs Feuerbachstraße, eines Stahlskelettbaus von 1932/33, gruppierten sich Geschäfte, Fahrkartenschalter und eine Gepäckannahmestelle. Im Radius durchquerte man die Halle zu den Bahnsteigen. Die Wände waren mit beigen Fliesen verkleidet. Orange und schwarz lasierte Keramikgesimse schlossen nach oben ab. Leider ist die ursprüngliche Gestaltung nach dem Krieg nicht mehr hergestellt worden.

Brademanns Werk fügt sich in die Baugeschichte der späten Weimarer Republik ein. Auch nach 1933 hielt er an seinen Entwürfen fest. Sachliche Gestaltung, industriell hergestellte Baumaterialien wie Klinker, Ziegel, Keramiken und Beton verband er mit Reminiszenzen an die expressionistische Gotik. Bei seinen Bauten folgt die Form der Funktion, bisweilen erinnern sie an eine Tendenz, die als „heroischer Stil“ bekannt wurde. In diesem Fall waren es aber nicht der Wille zum metaphysischen Ausdruck bei Kirchen und Denkmälern, sondern die technischen Erfordernisse, die bisweilen den Eindruck einer kalten, unheimlichen und menschenleeren Architektur erweckten. Dieser Eindruck von Abstraktion und formalem Purismus gibt einer Schaltwarte oder Transformatorzelle heute die Aura eines Kunstwerks.

Bis 16. Februar, Deutsches Technik Museum, Trebbiner Straße 9, Kreuzberg, Di.–Fr. 9–17.30 Uhr, Sa./So. 10–18 Uhr, Katalog 29,80 €