Singen wie ein Zombie

Es werden Koloraturen gesungen, aber auch gezischt, gekeucht, Disharmonisches gewagt: Mit „Was wir fühlen # 1: Scream Queen“ beginnt in den Sophiensaelen eine neue Reihe der Opernkompanie Novoflot

Da hängen sie in ihren kleinen, zerdepperten italienischen Autos, Hals über Kopf überm Lenkrad. Das Orchester spielt dazu eine fein ziselierte Barockfuge, bricht abrupt ab, und nahtlos macht ein blechernes Autoradio mit der Fuge weiter. Die da in ihren verkeilten Kleinwagen hängen, wachen auf, mit zombiehafter Langsamkeit kommen sie zu sich und sortieren ihre Gliedmaßen. Die eine bekommt erst mal einen Wutanfall, die anderen drei arrangieren sich anderweitig mit ihrer Post-Crash-Situation – sie singen ihr Entsetzen in Arien, sie lachen gespenstisch, intonieren Halleluja-Kantaten. Später werden sie sich alle ein wenig beruhigen, zwischen ihren Wracks einen Campingtisch aufbauen und ominöse Dinge sprechsingen wie „Manch einer träumt als Ertrunkener noch von Rettung“. Da dämmert ihnen und ihrem Publikum, dass sie allesamt schon seit drei Tagen tot sind.

Das in etwa ist der tragikomische Plot der neuesten Inszenierung der Opernkompanie Novoflot in den Sophiensaelen. Eine Novoflot-Premiere pro Jahr darf man mittlerweile hier erwarten: Nach den herrlichen drei Weltraum-Saga-Staffeln „Kommander Kobayashi“ von 2005 bis 2007 sind Regisseur Sven Holm und der musikalische Leiter Vicente Larranaga jetzt einer ähnlichen Fährte auf der Spur. Wieder geht es um eine Suche. Nach Gewissheit, nach eigener Geschichte, nach einem Auftrag, nach demjenigen, der einem sagt: „Aber jetzt ist doch alles wieder gut.“ Auf diesem existenziellen Weg befinden sich recht exzentrische Figuren, schauspielernde Sänger, diesmal auch eine singende Schauspielerin. Die Gefühle, die bei diesen eigentlich so vollständig unerlösten, unlösbaren Umtrieben – schließlich sind alle schon tot, da ist nicht mehr viel zu wollen – entstehen, werden auf musiktheatralische Weise kunstvoll ausgeleuchtet.

Bei dem neuen Projekt bekennt man sich zu dieser tiefschürfenden Gefühlshaushalterei sogar ganz affirmativ: „Was wir fühlen“ soll eine dreiteilige Opernserie werden, die Premiere von „Scream Queen“ präsentierte jetzt den ersten Teil, der dem Affekt der Angst auf der Spur zu sein behauptet. Opern zu den Affekten „Erschöpfung“ und „Glück“ sollen folgen.

In Sachen musikalischer Mittel hat man sich bei „Scream Queen“ für einen Cut-up aus Barockmusiken – Händel, Vivaldi, Bach – und frischen Kompositionen der Polin Aleksandra Gryka entschieden. Die manirierte Setzung von Gefühlsausdruck nach der barocken Affektenlehre steht also der nicht minder künstlichen Intensität in der Neuen Musik gegenüber, die allerdings Anspruch auf Authentizität erhebt. Es werden Koloraturen gesungen, aber es wird auch gezischt, gekeucht, merkwürdig betont, synkopiert, Disharmonisches gewagt, manchmal im direkten Übergang, manchmal sogar zeitgleich. Dass dabei weder Barock noch Moderne verlieren, am Ende allerdings etwas Drittes, und zwar das in Kunstnebel gehüllte Musical, gewinnt, ist eine so irre wie komische Idee, wie sie nur aus der Pop-affinen Hochkultur der Novoflot-Oper kommen kann.

Auch wenn nicht ganz klar wird, warum man dieser nihilistischen Leben-nach-dem-Tod-Inszenierung just das Thema „Angst“ verschrieben hat, und auch wenn mit den ständigen Videoeinspielungen der Einsatz der Bedeutung generierenden Mittel etwas überreizt wird: Wer Spaß daran hat, einer grandiosen Sängerin dabei zuzusehen, wie sie in Moonboots und Trainingshose vor einem elektronische Monstersounds ausspuckenden Autowrack eine italienische Barockarie singt und dabei außer Atem gerät, weil sie während des Singens einen Schlitten hinter sich herzieht, auf dem zwei hochbegabte Kinder diabolisch grinsen, der ist bei Novoflot goldrichtig. KIRSTEN RIESSELMANN

Wieder in den Sophiensaelen 26. bis 28. Sept, 20 Uhr