Neue Weltanschauungen

Genug Zeit für Kunst: Die Ausstellung „Fotograf Che Guevara“ zeigt einen Teil des erst 1995 in Kuba entdeckten fotografischen Nachlasses der Ikone der internationalistischen Linken

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Geradezu manisch hat Ernesto Che Guevara sein Leben protokolliert. Dank zahlreicher Tagebücher hinterließ er für alle, die es lesen wollen, einen nahezu vollständigen Rapport über seine Aktivitäten als Revolutionär. Poetische Formulierungen wie „die von meinen Notizen fotografierte Landschaft“ haben bei der Lektüre auch härteste Politknochen gerührt.

Kaum jemand aber weiß, dass Che Guevara jeden seiner Schritte auch tatsächlich fotografisch dokumentiert hat. In den 50er Jahren verdiente er sogar als Professioneller sein Geld, unter anderem für die mexikanische Nachrichtenagentur Agencia Latina. Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt mit über 200 Abzügen jetzt einen Teil des Nachlasses, der allein 1000 Negative umfasst. Entdeckt hat ihn der spanische Kurator Josep Vicent Monzó 1995 bei einem Aufenthalt in Kuba. Nach Stationen in Havanna und Valencia ist die von ihm überwiegend aus Originalabzügen zusammengestellte Schau unter dem Titel Fotograf Che Guevara jetzt erstmals in Deutschland zu sehen.

Monzó, der in den Motiven und im Formwillen des Revolutionsführers vor allem dessen „humanistische Haltung“ entdeckt haben will, legte bei der Auswahl Wert darauf, möglichst umfassend Zeugnisse aus Guevaras Leben zu präsentieren: „Ob er Reisender gewesen ist oder Industrieminister, immer hatten seine Fotos mit der Funktion zu tun, die er zur jeweiligen Zeit innehatte.“

Guevara hat nicht etwa, wie man erwarten könnte, bloß Schnappschüsse hinterlassen. Porträts von Mayas, mexikanische Straßenszenen, eine Kundgebung, an der Guevara zusammen mit Fidel Castro teilgenommen hat, ohne Mittelpunkt, Industrieanlagen des neuen Kuba in extremer Untersicht, aufregende Linienführungen bei den aufgenommenen Architekturen in Ägypten, in Italien, Indonesien und China: In ihrer Gesamtheit vermitteln die Fotos eine eigentümliche Konzentriertheit.

Offenbar inspiriert von den experimentellen fotografischen Bewegungen der 20er Jahre, hat sich der in Sachen Revolution Reisende für jedes der Fotos Zeit genommen, bei der Wahl der Motive, der Suche nach der geeigneten Perspektive, dem besten Ausschnitt, oft sogar für das Licht. Vermutlich hat es nicht daran gelegen, dass nicht jede Revolution, an der Guevara teilnahm, erfolgreich endete. Jedenfalls ist im Revolutionärs-Dasein Zeit für Kunst. Von dessen Unbilden erzählen bloß ein paar Kratzer und verfärbte Stellen auf den Abzügen.

Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe; bis 30. März. Katalog (mit spanischen Texten): 240 S., 238 Abb., 47 Euro