24.000 anonyme Anrufe

Bei der Telefonseelsorge zu arbeiten ist kein Ehrenamt, mit dem man Eindruck schinden kann. Sonntag feiert das Sorgentelefon der Bremischen Evangelischen Kirche seinen 40. Geburtstag

Die Maxime, selbst kein Gespräch zu beenden, gilt heute nicht mehr

taz ■ Mit derzeit 80 Freiwilligen – „und das ist absolut unterste Kante“, sagt Friederike Jordt – erhält die Bremische Evangelische Kirche (BEK) seit mittlerweile 40 Jahren einen Rund-um-die-Uhr-Service aufrecht: die Telefonseelsorge. Im letzten Jahr sind dort 24.000 anonyme Anrufe eingegangen. Verdoppelt hat sich die Zahl der Anrufe 1997 mit der Einführung einer kostenlosen 0800er-Nummer. Und immer mehr Jugendliche rufen an.

„Der erste Satz ist besonders wichtig. Wenn man da genau hinhört, kann man schon viel darüber erfahren, was am anderen Ende der Leitung los ist“, berichtet die Leiterin der Telefonseelsorge, die Pastorin Friederike Jordt von der Arbeit. Sie kennt das anonyme Telefonieren selbst seit zwölf Jahren. Angefangen als Ehrenamtliche schlägt sie sich auch heute noch Tage und Nächte an der Strippe um die Ohren. Ob eine verzweifelte Mutter anruft, die gerade ihr Kind geschlagen hat oder ein psychisch kranker Mensch sagt, seine Nachbarn würden ihn mit Strahlen beschießen, die SeelsorgerInnen müssen auf alles gefasst sein.

Die Gründungsmaxime, dass die ZuhörerInnen selbst kein Gespräch beenden dürfen, gilt heute nicht mehr. „Niemand muss sich beleidigen lassen oder sich Nazi-Hetzereien anhören. Dann legen wir auch schon mal auf“, sagt Jordt.

Grundsätzlich gelte: „Wir geben keine Glaubenstipps und bieten keine Therapie.“ Bei der Arbeit gehe es vielmehr darum, Entlastung zu gewähren, sagt die Pastorin. „Bei der Mutter, die ihr Kind geschlagen hat, gehe ich erst einmal auf ihre Verzweiflung ein. Und ich darf das Kind in dem Moment nicht in Schutz nehmen, auch wenn mir danach ist“, sagt sie. „Damit erhöhe ich nur den Druck auf die Frau.“

Der Balanceakt, den die SeelsorgerInnen hinbekommen müssen, bestehe darin, mitzufühlen, ohne sich die Nöte der AnruferInnen vollkommen zu eigen zu machen. „Dass wir die Menschen auch einmal nicht erreichen, gehört zum Alltag dazu“, weiß Jordt. „Und“ – was bei Anrufen von suizidgefährdeten Menschen besonders wichtig sei – „wir tragen nicht die Verantwortung für das Schicksal des Anrufers“.

Grundsätzlich wichtig bei der Arbeit sei, selbst „geerdet“ zu sein. „Wenn man die eigenen Ängste und Traurigkeiten gut verarbeitet hat, sind sie ein Schatz“, ist die Seelsorgerin überzeugt.

Davon geprägt seien auch die ersten vier Monate der einjährigen Schulung, mit der die Kirche die Seelsorge-Azubis auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet. „In der Zeit fragen wir die TeilnehmerInnen sehr oft ’Wie fühlst Du Dich?’“ Die Pastorin selbst musste bei ihrer ersten Schulung, an der sie teilgenommen hat feststellen, dass sie damals den Tod ihrer Mutter noch nicht verwunden hatte, und hat das Vorhaben, Telefonseelsorgerin zu werden erst einmal verschoben.

Diejenigen, die dabei bleiben, üben in einem zweiten Abschnitt das Telefonieren. In vierminütigen Gesprächen lernen sie beide Seiten kennen, die der Anrufenden und die der Zuhörenden. Eine Anleitung, wie „das ideale Gespräch“ zu verlaufen hat, gibt es nicht, nur ein paar Regeln: Man dürfe die AnruferInnen nicht ausfragen. Und absolut falsch sei die ’Think Positive’-Strategie. „Für einen depressiven Menschen scheint die Sonne nicht, egal, was ich draußen sehe“, stellt Jordt klar.

Die meisten, die erstmal mit der Telefonseelsorge angefangen haben, würden lange bleiben, viele seien zwölf oder 14 Jahre dabei. Und das, obwohl die Anonymität verhindert, mit diesem Ehrenamt Lorbeeren im Job oder Freundeskreis zu ernten. Nachwuchs können aber auch die BremerInnen brauchen.

Ulrike Bendrat

Festgottesdienst zum Geburtstag: Sonntag, 10 Uhr im Dom. Interessierte erfahren unter ☎ 32 16 18 mehr über dieses Ehrenamt.