Die Pocken sollen nur kommen

Wenn in Deutschland der Pockenfall eintritt, muss ganz Berlin in fünf Tagen geimpft werden. Die Stadt bereitet sich schon auf die logistische Herausforderung vor und sucht geeignete Impfstellen. Ärzte lernen, was Pocken von Windpocken unterscheidet

von ANNE HAEMING

Das Variolavirus hat längst alle Gespräche infiziert, auch wenn die Bedrohung durch einen Terrorangriff mit Pockenerregern noch rein theoretisch ist. Noch befindet sich Berlin in Phase eins, noch ist weltweit kein Pockenfall bekannt. Es wäre der erste seit über zwanzig Jahren, seit 1980 gilt die Krankheit als ausgerottet. Vorbeugend wird in Deutschland nicht geimpft. Die Vorbereitungen für den Ernstfall laufen in Berlin allerdings langsam an. Dabei betrifft das Prozedere mehrere Ebenen: die Logistik einerseits, die medizinische Versorgung andererseits.

Erst gestern haben Matthias Brockstedt, der Vorsitzende der Fortbildungsakademie der Berliner Ärztekammer, und Sigurd Peters, der Katastrophenschutzbeauftragte der Senatsverwaltung für Gesundheit, beschlossen, die Berliner Ärzte systematisch für den Impfeinsatz zu schulen. „Wer am ehesten und schnellsten mit Infizierten in Kontakt kommen würde, wird in den nächsten Monaten gezielt von uns angesprochen“, erklärt Brockstedt. „Das werden vor allem die Hausärzte, Internisten und Rettungsärzte sein.“ Von den 24.000 Berliner Ärzten werden etwa 3.000 für den Kriseneinsatz gebraucht.

Das Problem sei nicht die technische Durchführung der Impfung, so Brockstedt. Die zentrale Frage sei vielmehr: „Wer darf geimpft werden, wer nicht? Für Menschen mit Immunschwäche ist eine Pockenimpfung lebensgefährlich“, erläutert er. „Wer Aids hat oder wegen eines Tumors behandelt wird, darf sie nicht bekommen, genau so wenig wie Schwangere.“ Für diese Gruppe gelte: strikte Quarantäne. Die andere Frage, der sich die Schulung annimmt, ist: „Kann ein Arzt überhaupt Pocken von Windpocken oder anderen Bläscheninfektionen unterscheiden?“ Da die meisten Mediziner Pockenfälle nur aus dem Lehrbuch kennen, würde man das Wissen der alten Berliner Chefärzte aktivieren, die Pockenfälle noch selbst erlebt hätten.

Was die Ärzte bei der Fortbildung gelernt haben, kommt frühestens in Phase zwei zum Einsatz. Sie beginnt laut Katastrophenschutzbeauftragtem Peters, sobald „irgendwo auf der Welt ein Pockenfall auftritt“. Dann nimmt die logistische Herausforderung konkretere Formen an. Die 3.000 Berliner Ärzte, die die Impfungen vornehmen sollen, werden aktiviert. Auch die 135 benötigten Impfstellen würden erst dann vollständig katalogisiert werden, erzählt Peters. „Ich habe die Amtsärzte gebeten, schon mal aufzuschreiben, welche Schulen in Frage kämen“, sagt er. Hauptkriterium sind eine gute Verkehrsanbindung und ein großer Parkplatz. In Phase drei, wenn der erste deutsche Pockenfall bekannt ist, beginnen die Impfungen. Die Bevölkerung wird dazu über die Medien aufgerufen. Innerhalb von fünf Tagen müssen die Berliner das Antipockenserum gespritzt bekommen. Es wird jeden Morgen tiefgefroren vom Berliner Zentrallager aus seinen Weg zu den Schulen machen und über eine doppelzangige Nadel mit 16 kleinen Stichen im Arm eines Menschen landen.

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