Modern, gestylt, effizient

Die türkische Imbisskultur wandelt sich immer deutlicher zu gehobenen Schnellrestaurants. Statt mattem Döner am Spieß gibt es frische Salate, Aufläufe und Teigwaren. Die zweite Generation der Imbissinhaber hat ein neues Geschäftsverständnis

von CHRISTINE BERGER

Eigentlich hat Yilmaz Semsettin nicht damit gerechnet, jemals Erfolg zu haben. „In der Hauptschule, mit lauter Sechsen auf dem Zeugnis, haben die Lehrer gesagt, was soll aus dir bloß werden?“ Die Antwort lautet heute: Imbissbudenbesitzer. Obwohl: „Das Wort Bude kann ich überhaupt nicht leiden“, so der 33-Jährige, dem der Imbiss „All in One“ am Hackeschen Markt gehört. Und in der Tat ist sein Geschäft keine olle, verranzte Bude, sondern eine modern gestylte, äußerst effizient organisierte Futterstation. Dönerdrehspieß, Pizzen, Salate, alles für den Ex-und-Hopp-Hunger, den auch die einst erfolgreichen Geschäftsleute aus der Umgebung zunehmend bei Semsettin stillen. Und der Rubel rollt, wie das Journalistenbüro von gegenüber erst neulich wieder feststellen musste. Just war der arbeitsame Türke mit einem neuen Daimler SK 45 vorgefahren. „Das große Geld kann man hier nicht machen“, gibt sich Semsettin dennoch bescheiden. Er hat alles im Griff, und er hat mit der Lage Glück gehabt, das ist seine Art von Erfolg.

Längst sind die Zeiten vorbei, als ein türkischer Imbiss in erster Linie von einem Tresen mit mehr oder weniger frisch eingelegten Gemüsen bestand und dem unvermeidlichen Grillspieß. Kein gebeugtes Männlein mehr, das bei einer Tasse Tee im Hinterzimmer saß, stattdessen bestimmen heute fünf bis acht dynamische Tresenkräfte in einheitlichen T-Shirts und mit fließenden Deutschkenntnissen immer öfter die türkische Imbisskultur. So auch das Schnellrestaurant Saray in der See-/Ecke Müllerstraße. Spieße in allen Variationen füllen die Glasvitrine am Eingang. Daneben Auflaufgerichte in Tontöpfen, dampfendes Pide, dass gerade aus dem Holzofen gezogen wurde, und natürlich eine Salatbar. Während türkischer Pop aus den Lautsprechern schallt, sitzen Menschen aller Nationen auf Bistrostühlen vor lachsfarbenen Wänden und essen. Dass das Pide hier stolze 2 Euro 50 kostet, scheint niemanden zu stören. „Das Essen ist gut, da zahle ich eben mehr als an der Bude um die Ecke“, bringt es eine chinesische Studentin auf den Punkt.

Die Erkenntnis, dass für guten Service und qualitativ bessere Ware mehr Geld hingelegt werden muss, scheint jedenfalls in der modernen Imbisskultur der türkischen Betreiber kein Stolperstein zu sein. Im Gegenteil: In Zeiten, wo Restaurantbesuche immer mehr aus Geldgründen ausfallen müssen, ist der Gang zum niveauvollen Imbiss anscheinend eine gute Alternative. „Es gibt doch so viel Ledige, die kochen nicht“, nennt Semsettin einen weiteren Grund für die gut gehenden Geschäfte, zumal im Wedding oder in Mitte.

Die Erkenntnis, dass das Auge mitisst und das freundlich drapierte Essen in den Vitrinen wirklich Appetit machen soll, ist ein weiterer Punkt, der die jüngeren Türken von den Geschäften ihrer Eltern unterscheidet. „Früher kam ein Deutscher in den Imbiss, und der wurde gar nicht verstanden“, schimpft Semsettin. „Mit Zwiebeln oder ohne Zwiebeln – er hat bestimmt das Falsche gekriegt.“ Seine Generation habe da andere Voraussetzungen, und türkisches Personal mit Deutsch- und Englischkenntnissen zu aquirieren sei nicht mehr schwer.

Auch der Konkurrenzkampf zwischen den Imbissen hat seinen Teil zur Innovation im Gewerbe beigetragen. „Man muss sich immer was Neues einfallen lassen“, so der Besitzer des Laventes in Tegel. Vor zwei Jahren hat er deshalb einen Holzofen in der Mitte des Raumes bauen lassen. So kann der Gast zuschauen, wie türkische Pizzen und Pide frisch gebacken werden. Der Sohn einer Familie mit Dönergroßproduktion trägt gerne Designeranzüge und wirkt wie ein Oxford-Absolvent. Dabei hat er nicht mal eine Lehre gemacht. „So etwas gab es im Dönerbereich gar nicht“, gibt der 43-Jährige zu verstehen, der 1978 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Berlin kam. Auf die Frage, warum früher die türkische Imbisskultur so kärglich daherkam, hat er eine einfache Antwort. „Unsere Eltern haben noch jeden Pfennig gespart, um irgendwann wieder in die Türkei zurückkehren zu können. Wir dagegen machen unsere Geschäfte hier.“

All in one, Rosenthaler Str. Mitte, Tel. 27 59 40 29, tägl. 8–1 Uhr. Saray, Seestr./Ecke Müllerstr., Wedding, Tel. 48 62 87 30, tägl. 10–24 Uhr. Laventes, Berliner Str. 95, Tegel, Tel. 4 34 21 54, tägl. 8–5 Uhr