Gastronomie in der Krise

Vom Sternerestaurant bis zur Imbissbude hängt man am Tropf der schwächelnden Konjunktur. Die Kosten steigen, aber die Gäste sparen – oder bleiben gleich zu Hause. Jetzt ist Flexibilität gefragt

von VERENA MÖRATH

Der Kellner zückt das Feuerzeug, zündet die Kerze an, und schon kann man in der Speisekarte blättern. Auf die Preise achten? Nichts da. Wir wollen uns amüsieren und verwöhnen lassen. Kein Einkauf, kein Kochtopf und kein Abwasch, dafür zahlen wir gerne! Diese Einstellung mag bei vielen vorhanden sein, aber da gibt es ein Problem: Das Geld ist knapper geworden, und so mancher gönnt sich den Besuch eines Restaurants oder einer Kneipe viel seltener oder gar nicht mehr.

Das bekommt die Gastronomie deutlich zu spüren und beklagte zum Jahreswechsel die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Nahezu 70 Prozent aller Gastwirte und Restaurants in Deutschland, so meldete der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), verzeichnete 2002 Umsatzeinbußen. „Die Verbraucher sitzen auf ihrem Geld“, so Marc Schneller, Dehoga-Pressesprecher, „weil sie verunsichert sind und nicht wissen, welche finanziellen Belastungen auf sie zukommen. Das Gastgewerbe hängt am Tropf der allgemeinen Konjunktur.“ Dabei sparen nicht nur Privat-, sondern auch Geschäftskunden, und die Verluste gehen quer durch die Branche. Ob Sternegastronomie oder Imbissbude: alle jammern.

Auch in der Hauptstadt herrscht Katerstimmung: „Berlin verzeichnete schon vor zwei Jahren zum ersten Mal in seiner Geschichte mehr Abmeldungen im Gaststättengewerbe als Anmeldungen“, berichtet Karl Weissenborn, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Berlin und Umgebung e. V. (Hoga-Verband). Die Umsatzeinbußen in der Gastronomie im letzten Jahr sind mit 8,3 Prozent laut Statistischem Landesamt Berlin fast doppelt so hoch wie noch 2001, die Zahl der Beschäftigten ging insgesamt um 5,9 Prozent, bei den Vollzeitbeschäftigten sogar um 7,4 Prozent zurück.

Der Gastwirt heute hat aber nicht nur das Problem, dass zu wenig Gäste kommen: Er muss mit einer durchschnittlichen Steigerung der Betriebskosten um 3,8 Prozent rechnen, und falls er diese auf seine Preise schlägt, wird ihm das übel genommen. Der Kunde will heute erst recht das Tollste zum kleinen Preis.

„Ein Gastwirt muss wissen, wie er sich und sein Lokal positionieren kann. Welcher Gast kommt und was er will“, so Hoga-Verbandssprecher Weissenborn. „Mit einem guten Konzept, einem stimmigen Preis-Leistungs-Verhältnis und einem durchdachten Marketing kann ich auch heute ein volles Haus haben.“ Aber so manchem fehlt hierfür das Know-how und anderen die Einsicht, dass Veränderungen nötig sind. „Viele gehen nicht mit der Zeit und wirtschaften an herrschenden Trends vorbei“, meint auch Klaus-Dieter Richter, Vizepräsident des Berliner Fachgruppenverbands Gastronomie, der rund 1.300 Mitglieder zählt. Bier zapfen und warten, bis der Gast kommt, dies funktioniere schon lange nicht mehr. Richter betreibt seit 14 Jahren ein Restaurant in Spandau und konnte selbst im letzten Jahr seinen Umsatz steigern. Angefangen hatte er mit einer Gourmetküche. Als er merkte, dass diese sich nicht rechnete, bot er nach der Wende bodenständige märkische Küche an, wechselte dann auf regionale Spezialitäten aus ganz Deutschland und hat sich heute auf eine rustikale schlesisch-ostpreußische Küche spezialisiert. Touristen finden den Weg zu ihm, weil er sein Lokal auch im Internet bewirbt. Sein Fazit: Ohne Willen zur Veränderung wäre auch er einer Insolvenz nicht entgangen.

Obwohl die Zeiten schwer sind, organisieren sich nach wie vor nur ein Viertel aller Berliner Gastwirte und Restaurantbesitzer im Hoga-Landesverband, um ihre Interessen durchzusetzen, Vergünstigungen bei Betriebskosten zu erhalten oder Rat und Hilfe zu holen. „Was in vielen Branchen üblich ist, ist bei den Gastwirten noch mit Berührungsängsten behaftet“, bedauert Richter. Dabei gäbe es in bezirklichen Erfahrungsaustauschgruppen regelmäßig die Möglichkeit, sich zu informieren, Strategien und erfolgreiche Konzepte auszutauschen. Auch der Futterneid in der Gastronomie ist nicht zu unterschätzen: „Wer gut und erfolgreich ist, hält sich zurück aus Angst, der andere könnte ihm seine Gäste abspenstig machen“, so Richter. Andere seien zu stolz, um sich helfen zu lassen, oder umgekehrt: schämten sich zuzugeben, in der Klemme zu stecken.