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 Grand Prix 2003: Liebe Grüße aus MünchenFair ist, wenn man trotzdem lacht

Sehr verehrte Frau Mika, […] immer wieder wird an mich die Frage herangetragen, warum ich wieder am Grand Prix teilnehme – ich hätte doch „nie wieder“ geschworen und sogar eine Wette gemacht?

Das jemand im Moment der totalen Enttäuschung erklärt: „Nie wieder“, ist wohl menschlich und bestimmt schon millionenfach geschehen – mit Abstand betrachtet und durch neue Motivation von vielen Seiten (Familie, Freunde und aus vielen Teilen der Bevölkerung und Medien) habe ich mich entschlossen, meine 30-jährige Grand-Prix-Story nicht mit einem 21. Platz in Tallinn zu beenden … und selbstverständlich auch meine Wettschulden zu bezahlen.

Die Entscheidung, noch einmal als Komponist beziehungsweise Textdichter an diesem Song-Wettbewerb teilzunehmen, fiel Dr. Bernd Meinunger und mir mit Sicherheit nicht leicht. Besonders nach dem mehr als unglücklichen Abschneiden im letzten Jahr sich noch einmal dem ganzen Stress zu unterziehen, sich voll und ganz für eine Idee und besonders einen Künstler zu engagieren – mit allen positiven oder vielleicht negativen Konsequenzen –, erfordert schon mehr als starken Glauben an die eigene Schaffenskraft, wobei jede Form von Selbstüberschätzung in den heutigen Zeiten mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Es geht aber nicht allein um den Komponisten oder Textdichter, sondern um den Künstler, der Deutschland international in Riga vertreten soll. Dort interessiert nur noch, wie gut der Song ist, wie er gesungen und performed wird, nicht aber, von wem er geschrieben wurde! Auch nicht wie alt oder jung die Autoren sind oder wie oft sie sich schon beteiligt haben – abgesehen davon, dass wir in den vergangenen Jahren mit Dschingis Khan, Lena Valaitis, Katja Ebstein, Nicole, Wind, Mekado, Sürpriz etc. gar nicht so schlecht abgeschnitten haben.

„Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lied daher“

Und genau so war es! Bernd und ich schrieben im Laufe des letzten Jahres einen Song, der uns immer mehr ans Herz wuchs und immer mehr den Gedanken verfolgen ließ, ihn trotz aller Bedenken zum Grand Prix zu schicken. Die Interpretin Lou ist eine Powerfrau mit ungebündelter Energie. Kein gecastetes Model, sondern eine Sängerin mit Leib und Seele, mit unverkennbarer Stimme. Über 3.000 Auftritte im In- und Ausland sowie zahlreiche TV-Auftritte, unter anderem beim Vorentscheid des Grand Prix Eurovision de la Chanson 2001 in Bremen (3. Platz mit „Happy Birthday Party“) zeugen von Qualität und Live-Erfahrung, und genau all diese Facts führten dazu, Lou noch einmal ins Rennen zu schicken. Wenn jemand es verdient hat, eine faire Chance zu bekommen – vom Publikum wie von den Medien – dann ist es Lou!

Natürlich weiß ich, dass auch die taz ihre eigene Kandidatin für diesen Wettbewerb hat – übrigens eine sehr gut aussehende Sängerin, und ich wünsche ihr selbstverständlich alles Gute. Ich hoffe allerdings auch auf Fairness gegenüber Lou, die mit unserem letztjährigen Abschneiden mit Sicherheit nichts zu tun hat. Was ich bis jetzt in der taz gelesen habe war, was uns betrifft, nicht gerade nett …!

Wir wünschen uns natürlich, wie alle Autoren und Interpreten, dass der Song, der Deutschland vertritt, in Europa einen überzeugenden und positiven Eindruck hinterlässt und somit eine Chance hat, diesen Wettbewerb noch einmal nach Deutschland zu holen – dazu gehört aber auch „ein bisschen“ Glück.

Mit lieben Grüßen aus München verbleibe ich als Ihr

RALPH SIEGEL, Musikproduzent

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