TSCHECHISCHE PRÄSIDENTENWAHL: VERLIERER IST EUROPA
: Stunde der starken Männer

Die Wahl eines Staatspräsidenten findet normalerweise nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Denn in der Regel verfügt das Staatsoberhaupt allein über repräsentative Funktion, seine Möglichkeiten, ins politische Geschehen einzugreifen, sind gering.

Anders ist dies in der Tschechischen Republik. Kein Staat Ostmitteleuropas hat in seiner Verfassung dem Präsidenten größere Befugnisse zugestanden: letztendlich kann er die Regierung lahm legen. Der scheidende Präsident Václav Havel hat diese Möglichkeit – auch wenn er es ab und zu sicher gern getan hätte – nie genutzt. Doch diese tagespolitische Abstinenz des tschechischen Staatspräsidenten gehört nun der Vergangenheit an.

Den Abgeordneten der Regierungskoalition ist es am Mittwochabend nicht gelungen, einen Kandidaten aus ihren Reihen zum Präsidenten zu wählen. Die Verantwortung dafür liegt beim linken Flügel der Sozialdemokraten, der dem Havel-Freund und Exdissidenten Petr Pithart die Zustimmung verweigerten. Dies kann man einer stets latenten Anti-Dissidenten-Stimmung unter den Sozialdemokraten zuschreiben. Die Konsequenz jedoch ist die bisher entscheidendste Veränderung des politischen Systems des Landes seit 1989. Regierung und Sozialdemokratische Partei sind handlungsunfähig – wenn sie nicht ganz auseinander brechen. Auf dem Hradschin aber wird nun einer der beiden Männer Platz nehmen, die bereits in den letzten zehn Jahren die Politik Tschechiens als Ministerpräsidenten bestimmten. Václav Klaus oder Miloš Zeman, egal wie der neue Staatspräsident nun heißen wird, keiner wird es sich entgehen lassen, das entstandene Machtvakuum auszunutzen.

Václav Havels Politik der „unpolitischen Politik“, die weniger auf Parteien und mehr auf Persönlichkeiten setzte, findet so eine unerwünschte Erfüllung. Dafür trägt er selbst die Verantwortung. Da er darauf verzichtete, mit seinen Anhängern eine starke Partei zu gründen, fehlt ihm heute eine Machtbasis und er muss zusehen, wie einer seiner Gegenspieler seine Nachfolge antritt.

Für Tschechiens Außenpolitik bedeutet dies wenig Gutes. Zeman, der in Deutschland erst durch sein Gerede von den Sudetendeutschen als fünfter Kolonne Hitlers bekannt wurde, wird seine antideutschen Ressentiments weiter pflegen, Thatcher-Fan Klaus dagegen seine antieuropäischen Vorbehalte. Die deutsch-tschechischen Verträge oder der Beitritt Tschechiens zur EU sind dadurch nicht gefährdet. Die Zukunft jedoch gehört der Betonung der jungen tschechischen Staatlichkeit und der gleichzeitigen Ablehnung einer verstärkten europäischen Integration. SABINE HERRE