Missverstandene Türsteher-Tränen

Im Stalker-Prozess um den Tod einer 33-Jährigen weist die Polizei den Vorwurf von Versäumnissen zurück. Die Familie erhebt jedoch schwere Vorwürfe. Gestern sagte der achtjährige Sohn audiovisuell gegen seinen Vater aus

Im Stalker-Prozess ist am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit der achtjährige Dorganay, Sohn der erschossenen Aysin T., in einer audiovisuellen Vernehmung angehört worden. Im Beisein seiner Nebenklageanwältin Gabriele Heinecke stellte Landrichter Wolfgang Backen dem Jungen in einem abgeschirmten Raum vor einer Videokamera die Fragen. Dorganay war Tatzeuge, als die 33-Jährige von ihrem „Ex“ Ali U. am 26. März dieses Jahres durch fünf Schüsse getötet worden ist.

Gegenüber seiner Tante hatte Dorganay gesagt: „Ich hab’ gesehen, wie Papa auf Mama geschossen hat“. Zuvor habe er seine Eltern streiten gehört, U. habe gerufen „Ich hab’s dir immer gesagt …“, dann seien Schüsse gefallen. U. hatte seiner „Ex“ monatelang mit Mord gedroht.

Zuvor war der im Stalker-Komplex ermittelnde Polizeibeamte Stefan Sch. im Zeugenstand. „Wir haben alles unternommen, was rechtlich möglich war“, beteuert Sch. Der Beamte, der für das Türsteher-Milieu auf St. Pauli zuständig war, habe den Fall übernommen, da U. als Türsteher gearbeitet hätte. Dass er deshalb halbherzig gehandelt habe, bestreitet Sch.

Dennoch scheint die Polizei laut Zeugen sehr viel Verständnis für Ali U. gehabt zu haben. Auch als Aysin T. im Februar gegen ihn Anzeige erstattete, nach dem U. ihr ein Messer an die Kehle gehalten und sie an den Haaren durch die Wohnung gezogen hatte. Bei der Vernehmung habe U. einen „niedergeschlagenen Eindruck“ gemacht. „Er war psychisch labil und weinerlich“, sagt Sch., „habe sich aber einsichtig und kooperativ gezeigt und angegeben, dass Aysin T. ihn zuerst mit dem Messer angegriffen habe. „Es schien, als würde seine Aussage alles relativieren“, so Sch. „Warum haben sie nicht das Kind als Augenzeugen vernommen“, fragte Richter Backen. „Dazu sahen wir keinen Anlass“. Stattdessen ist auf Aysin T. eingewirkt worden, sich „deeskalierend zu verhalten“. Sch.: „Das schien uns der richtige Weg.“

KAI VON APPEN