Fernöstliches Mundwerk

Heimischer Zahnersatz oder Brücken aus China, Taiwan oder der Türkei? Es tobt ein Streit über das Innere in deutschen Mündern. Die Frage der Qualität aus Fernost ist noch völlig ungeklärt

von SANDRA WILSDORF

Was bei Computern, Autos und Stereoanlagen längst selbstverständlich ist, ist jetzt auch auf dem Markt der Gesundheitsdienstleistungen auf dem Vormarsch: Made in Taiwan, Hong Kong, China oder Singapore, weil es billiger ist als Made in Germany. Zahnersatz aus Fernost, aber auch aus Ungarn oder der Türkei, kostet etwa die Hälfte von dem, was deutsche Zahntechniker berechnen. Eine Krone, die in Hamburg beispielsweise 174 Euro kostet, gibt es aus Fernost für 85 Euro. Muss der Patient 50 Prozent zuzahlen, spart er mal eben 46 Euro.

Die Ersatzkassen, zu denen die Techniker, die Barmer oder die Deutsche Angestelltenkrankenkasse gehören, haben nichts gegen die Billigware. „Zahnersatz aus Fernost ist qualitativ ebenso hochwertig wie in Deutschland produzierte Ware“, bestätigt Sprecherin Vera Kahnert. Es sei Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, die Zahnärzte zur Wirtschaftlichkeit zu bewegen. Ein Vorteil der ausländischen Produkte sei zudem, dass sie fünf Jahre Garantie haben – deutsche Produkte nur drei. Die Ersatzkassen würden ihre Mitglieder zwar keinesfalls auffordern, notfalls auch gegen die Meinung des behandelnden Arztes durchzusetzen, dass ein ausländisches Labor das Mundwerk fertigt. „Die Empfehlung, diese gute Möglichkeit zu nutzen, bleibt aber weiter mit Nachdruck bestehen.“

BKK lässt Ärzte an der Ersparnis teilhaben

Die klamme BKK Stadt Hamburg wirbt ganz offensiv für die Brücken, Kronen und Gebisse aus dem Ausland. Und weil Geld noch überzeugender ist als Worte, lässt sie die Ärzte an der Ersparnis teilhaben. „Wir geben ein Drittel des Vorteils an die Ärzte weiter, wenn die ihre Garantieleistung auf fünf Jahre erhöhen“, sagt Kassenvorstand Herbert Schulz. Zahnarzt Ulrich Happ verkauft seit fünf Jahren Zahnersatz aus Manila, Bangkok, Singapur und Hong Kong und beurteilt ihn als „gehobenen Durchschnitt“. Natürlich gebe es da auch schlechte Labore, „aber die gibt es in Deutschland auch. Mittlerweile lässt er auch in Brandenburg fertigen.

Dieter Jobst ist Zahntechniker und Mitarbeiter der Hamburger Firma „Dentrade“. Er hält sich selbst für das beste Beispiel: „Ich habe Zahnersatz aus Hong Kong im Mund.“ Ehefrau und Schwiegereltern auch. Früher hätte er sich die Goldzähne selbst gemacht. Aber jetzt, wo er sie für 85 Euro aus Asien beziehen kann, lohnt das nicht mehr. Und länger dauere es auch nicht: Er schickt den Abdruck nach Fernost, von dort kommt in sechs bis sieben Tagen der Zahn, die Krone oder das Inlet. Angepasst und notfalls nachgeabreitet wird es in deutschen Laboren.

Kassenchef Schulz findet: „Es gibt nur Gewinner bei diesem Spiel.“ Da widersprechen ihm zumindest hiesige Zahntechniker, deren Arbeitsplätze vernichtet würden, wenn das Beispiel flächendeckend Schule macht. Immer wieder gibt es außerdem Berichte über angeblich krebserregende Stoffe in ausländischen Zähnen. „So wissen wir, dass es heute noch Legierungen auf dem Weltmarkt gibt, die Stoffe beinhalten, die eindeutig als krebserregend eingestuft werden“, sagt Lutz Wolf, Präsident des Verbandes der Zahntechniker-Innungen. Allein daraus ergebe sich eine Gefährdung der Patienten, wenn Zahnersatz aus unklaren Verhältnissen importiert werde. So gebe es zum Beispiel für Beryllium in anderen Ländern bis zu fünfmal höhere Grenzwerte als in Deutschland.

Niemand untersucht die Zusammensetzung

Und wer bürgt überhaupt für die Qualität, wenn der Zahn aus einem weit entfernten Labor kommt? Niemand untersucht die chemische Zusammensetzung. Und so weisen denn auch die Zahnärzte darauf hin, dass die Entscheidung für heimischen oder ausländischen Zahnersatz letztlich eine Frage des Vertrauens ist. „Die Qualität ist äußerst schwer zu überprüfen“, sagt Gerd Eisentraut, Sprecher der Hamburger Kassenzahnärztlichen Vereinigung.

Letztlich ist natürlich auch noch fragwürdig, ob gerade Krankenkassen, die vom Solidarprinzip leben, von Billiglöhnen und fehlender Krankenversicherung in anderen Teilen der Welt profitieren sollen. Denn zahlen künftig noch weniger Menschen ein, zahlen am Ende alle immer mehr. Aber in Zeiten wie diesen ist den Krankenkassen das Hemd wohl näher als die Volkswirtschaft. Und vielleicht geht das auch dem ein oder anderen Patienten so, der für ein Goldinlet statt 350 nur noch 100 Euro zahlen muss, wenn es aus Hong Kong kommt.