Zurück auf die Straße

Die Grünen geben sich wieder als Bürgerinitiative. Nur Folklore? Vielleicht. Manches spricht dagegen

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Es liegt eine bemerkenswerte Woche hinter den Grünen: Die Ökopax-Partei, diese ewig schwankende Kraft, hat sich in einer Frage von Krieg oder Frieden festgelegt wie noch nie, seit sie an der Regierung ist. So bemerkenswert ist die eingeschlagene Richtung, dass die Grünen auf lange Zeit an ihr gemessen werden, gleich ob sie in den nächsten Monaten Kurs halten oder kippen.

Am Montag ruft der neue Vorsitzende Reinhard Bütikofer die Grünen dazu auf, sich als „Speerspitze der Friedensbewegung“ zu verstehen. Am selben Tag fasst der Parteirat, die Kungelrunde aus Ministern, Partei- und Fraktionsführung, den Beschluss, zu Demonstrationen gegen den Irakkrieg aufzurufen. Mit Ja stimmt auch der Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer. Nach der Vorstandsklausur am Donnerstag erklärt die Zweite Vorsitzende Angelika Beer: „Wir werden uns beteiligen an der bundesweiten Demonstration am 15. Februar in Berlin.“ Beer und Bütikofer kündigen an, selbst zu erscheinen.

Mit Skepsis, Horror oder Freuden darf die Basis vernehmen: Nach rund 1.500 Tagen an der Macht gibt sich die Partei wieder als Bürgerinitiative. Selbst der Tonfall ist zurückgekehrt. Angelika Beer: „Wir Grüne gehen für den Frieden auf die Straße.“

Folklore? Regression? Wählertäuschung? Vielleicht. Doch manches spricht dagegen. Da ist zunächst das Thema: der Irak. Im Gegensatz zum Urteil der Kritiker von PDS bis CSU sieht die Partei sich selbst als immer währende Friedensgruppe. Ob zu Recht oder Unrecht, die Mehrheit grüner Mitglieder begreift bis heute die Militäreinsätze von Belgrad bis Kabul als Ausnahme, nicht als programmatischen Schritt zu einer militärisch begleiteten Außenpolitik der neuen Mittelmacht Deutschland. Der Irakkonflikt verlangt den Grünen eine Entscheidung ab, die für sie keine ist: endlich ein Krieg ohne Dilemma, da fällt das Nein leicht.

Zum Zweiten ist da Joschka Fischer. Fähnchen schwingend zu Demos zu eilen, würde zu ihm so gut passen wie ein Button mit Friedenstaube auf der Weste seines Dreiteilers. Trotzdem schwört er Partei und Öffentlichkeit seit kurzem auf das Nein zum Krieg ein, wie es Fischer nur tut, wenn es ihm ernst ist: Mit vollem Einsatz von Gefühl. „Ich habe die Erfahrung nach dem tragischen Hubschrauberunfall in Kabul gemacht: Ich muss hinterher den Angehörigen in die Augen sehen können.“ Er hat es auf der Klausur in Wörlitz den grünen Abgeordneten erzählt, er erzählt es in jedem Interview. „Ich kann mich nicht für den Einsatz von Gewalt aussprechen, wenn ich davon nicht überzeugt bin.“ Man mag das für narzisstisch halten, doch Joschka Fischers Narzissmus beeinflusst politische Entscheidungen in diesem Land.

Nun war Fischer unzweifelhaft schon von vielem in seinem Leben gefühlvoll überzeugt – und hat es sich dann doch anders überlegt. Die beste Fischer-Biografie auf dem Markt, „Der Unvollendete“, weist aber zu Recht darauf hin, dass diese Wandlungen stets quälend langsam vor sich gingen. Der Irakkriegsgegner Fischer hat nicht nur Partei und Regierung festgelegt, sondern auch sich selbst – fürs Erste.

Die Rückkehr zum Friedensthema – auch das spricht dafür, dass es sich nicht um einen puren Ausreißer der letzten Tage handelt – folgt diesmal strategischem Kalkül. Mit Reinhard Bütikofer steht immerhin ein Grünenkader an der Spitze der Partei, der fehlendes Charisma kompensiert durch langjährige Erfahrung als Schlichter. Vom grünen Grundsatzprogramm über den Rostocker Afghanistan-Parteitag bis zum Konflikt um Amt und Mandat hat er hinter den Kulissen die Kompromisse geschmiedet. Die neue Parteispitze macht keinen Hehl aus dem Motiv für ihre plötzliche Demobegeisterung. „In den vor uns liegenden Wochen sind auch in unserem Land sichtbare Friedensaktivitäten wichtig, in denen sich der gesellschaftliche Wille zu einer friedlichen Lösung ausdrückt“, heißt es schwer pastoral im Beschluss des Parteirats. Die Machtfrage dahinter lässt sich einfacher, härter beschreiben: Längst ist nicht ausgemacht, wie sich Deutschland in Nato und UNO zum Krieg verhält. Lässt der öffentliche Druck zu Hause nach, wächst die Gefahr, dass der Kanzler und sein Vize dem Druck aus Washington nachgeben.

Die Dynamik entbehrt nicht der Ironie: Auf nachdrückliche Ermunterung der grünen Spitze soll die grüne Basis die Regierung vor sich hertreiben, der eben diese Spitze angehört. Ist das künftig das Perpetuum mobile der rot-grünen Politik? Man kann es auch freundlicher sehen: Die Grünen bemühen sich, in der Regierung einen Rest an Oppositionsgeist zu bewahren. Damit machen sie sich oft zum Affen. Ehrenwert ist es trotzdem.